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Aus: Ausgabe vom 27.09.2025, Seite 15 / Geschichte
Antikommunismus und Kalter Krieg

Suhartos Säuberung

Vor 60 Jahren kam es in Indonesien zu einem beispiellosen Massenmord an den Mitgliedern der Kommunistischen Partei
Von Rainer Werning
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Gefangene Kommunisten in einem Umerziehungslager der indonesischen Armee (November 1965)

Das Jahr 1965 war in vielfacher Hinsicht bedeutsam. In Vietnam befanden sich die USA, die unangefochtene Führungsmacht des »freien Westens«, auf dem Höhepunkt eines Krieges, den sie trotz des Einsatzes einer gewaltigen Kriegsmaschinerie mit B-52-Flächenbombardements nicht gewinnen konnten. In Washington glaubte man noch immer an die 1954 von Präsident Dwight D. Eisenhower verkündete Dominotheorie. Ihr zufolge hätten ohne Sieg in Vietnam zwangsläufig auch andere Staaten in Südost- und Ostasien wie Thailand, Malaysia, Indonesien und Südkorea der Reihe nach – eben wie Dominosteine – umkippen und in den Machtbereich des Kommunismus geraten müssen. Im selben Jahr begann in der Volksrepublik China die Große Proletarische Kulturrevolution, während gleichzeitig die sino-sowjetischen Rivalitäten um die Vorherrschaft im sozialistischen Lager an Schärfe gewannen. Und in Indonesien, dem größten und bevölkerungsreichsten Land Südostasiens, wurden im Herbst die Weichen für einen schockartigen Wandel in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur gestellt, unter dessen traumatischen Konsequenzen ein Großteil seiner Bevölkerung bis heute leidet.

Indonesien war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Südostasien das erste Land, das sich mit seiner Unabhängigkeitserklärung vom 17. August 1945 vom Kolonialjoch lossagte. Mehr als drei Jahrhunderte lang war es von den Niederlanden beherrscht worden. Doch erst Ende 1949 erkannten diese die Unabhängigkeit ihrer Exkolonie an, nachdem sie mit »Polizeiaktionen« vergeblich versucht hatten, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Pikanterweise waren es die USA, die Den Haag zu diesem Schritt bewogen, weil man eine ähnliche Entwicklung wie in China tunlichst vermeiden wollte.

Drei Millionen Mitglieder

Als überaus kritisch – und das nicht nur wegen der Entwicklungen in Vietnam – hatte die US-Regierung unter Lyndon B. Johnson die politische Situation in Indonesien Anfang 1965 eingeschätzt. Im Juni 1964 hatte die Zeitung der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI), Harian Rakyat (Volkszeitung), die Zahl der Parteimitglieder mit über drei Millionen angegeben – ein nachgerade phänomenales Wachstum gegenüber den 8.000 Mitgliedern zur Zeit der Ausrufung der Unabhängigkeit im Jahr 1945. Insgesamt gab es der Zeitung zufolge Mitte der 1960er Jahre 18 Millionen Mitglieder und Sympathisanten – darunter die Gewerkschaft Sobsi, die Volksjugend, die Frauenbewegung Gerwani sowie die Bauernfront BTI. Damit bildete die PKI aus der Sicht einflussreicher konservativer Kräfte im Land und in Washington eine veritable Bedrohung. Zumal die Partei auch in der ersten nachkolonialen Regierung saß. Zumindest in der Außenpolitik herrschte zwischen der PKI und dem Präsidenten Sukarno Einigkeit über einen antiimperialistischen Kurs. 1955 stand er als Gastgeber bei der Gründung der Blockfreienbewegung in der javanischen Stadt Bandung im Zenit seines internationalen Ansehens. Seitdem versuchte er, durch sein »Nasakom« abgekürztes Konzept innenpolitisch eine Balance zwischen ­»Nationalismus, Religion und Kommunismus« herzustellen.

Vermehrte Beratungen zwischen hochrangigen indonesischen und US-amerikanischen Militärs ließen innerhalb eines Teils des jüngeren Offizierskorps und in der PKI-Spitze die Befürchtung keimen, ein Washington zugeneigter und wohlgesinnter »Rat der Generäle« plane Schritte, um Sukarno zu entmachten, linke Nationalisten, Gewerkschafter und Kommunisten auszuschalten, eine außenpolitische Kehrtwende in Richtung Westen vorzunehmen, zwischenzeitlich verstaatlichten Besitz an die früheren ausländischen Eigentümer zurückzugeben und das Land gezielt für ausländische Investitionen zu öffnen. Dieser Putsch, so befürchtete man weiter, sei aller Voraussicht nach für den 5. Oktober 1965 vorgesehen, den Jahrestag der Streitkräfte, an dem eine Konzentration größerer Truppenverbände in der Hauptstadt wenig Verdacht schöpfen ließe.

Diesem Plan, so er tatsächlich bestand, kam ein in der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 1965 von Oberstleutnant Untung Syamsuri, dem Chef der Leibgarde Sukarnos, inszenierter Coup zuvor. Seinen Truppen gelang es, sechs ranghoher Generäle – darunter auch der Oberbefehlshaber Yani – habhaft zu werden. Die gefangengenommenen Militärs und einer ihrer Adjutanten, ein Leutnant, wurden getötet. Über den staatlichen Rundfunksender in Jakarta wurde am Morgen des 1. Oktober die Konstituierung eines »Revolutionsrats« bekanntgegeben. Über die Gründe des Unternehmens wurde nur mitgeteilt, dass sich führende Militärs der Komplizenschaft mit der CIA schuldig gemacht hätten und deshalb kaltgestellt worden seien. Präsident Sukarno, so die Rundfunkerklärung, befinde sich in Sicherheit und werde auch weiterhin, wie gewohnt, die Staatsgeschäfte lenken.

»Neue Ordnung«

So nebulös der Plan und so vage die politische Plattform der »Bewegung 30. September« waren, so rasch stürzten sie auch in sich zusammen. Sukarno bewahrte Stillschweigen und äußerte sich weder pro noch kontra zu den Geschehnissen, und auch von der Parteispitze der PKI waren keine Aufrufe an die Bevölkerung zur Unterstützung der »Bewegung 30. September« ausgegangen. Im Gegenteil – die Parole hieß allerorten: Ruhe bewahren. Wem nützte all das? Der Chef der strategischen Heeresreserve, der Eliteeinheit Kostrad, Generalmajor Suharto, hatte binnen weniger Stunden alles unter Kontrolle. Nicht zuletzt deshalb, weil einige der »Putschisten« zu seinen Vertrauten zählten. Bereits am späten Abend des 1. Oktober war der »Putsch« kläglich gescheitert. Was folgte, war die gnadenlose Rache der Sieger.

Die fortan offiziell verkündeten und ausdrücklich gutgeheißenen »Säuberungsaktionen« gegen tatsächliche und vermeintliche Mitglieder und Sympathisanten der Kommunistischen Partei wurden auch von religiösen Führern und erst recht seitens der Großgrundbesitzer vorbehaltlos begrüßt. Deren Schergen und paramilitärisch ausgerüstete Banden flankierten den von Suharto entfesselten Staatsterror, durch den anstelle der alten Ordnung unter Sukarno eine »neue Ordnung« begründet werden sollte. Mit immensem Blutzoll: Mindestens eine halbe Million Menschen – manche Quellen sprechen sogar von bis zu drei Millionen Toten – wurden massakriert. Das Kalkül Suhartos und des Westens war aufgegangen: Sukarno musste im März 1966 seine Macht de facto an Suharto abgeben, und ein Jahr später war dieser de jure Indonesiens neuer Präsident. Das Land zeigte sich fortan als verlässlicher Partner der USA.

Westliche Mitwisser

Durch ein »peinliches Missgeschick«, so Mark Mansfield, ein Sprecher der CIA, Ende Juli 2001 gegenüber der New York Times, sei ein Exemplar eines vom State Department erstellten Geschichtsbuchs über die Rolle der USA im Indonesien der 1960er Jahre an Mitarbeiter des National Security Archive der George Washington University in Washington, D. C., gelangt. Deren Mitarbeiter plazierten dieses Dokument, dessen Titel »Die auswärtigen Beziehungen der Vereinigten Staaten 1964–1968. Band XXVI: Indonesien, Malaysia-Singapur, Philippinen« lautet, am 27. Juli 2001 auf ihrer Homepage im Internet.

Das 570 Seiten umfassende Kapitel über Indonesien liefert eine Fülle von Beweismaterial für staatsterroristische Schurkereien. So leitete beispielsweise die US-Botschaft in Jakarta am 13. November 1965 Informationen der indonesischen Polizei weiter, wonach »jede Nacht zwischen 50 und 100 PKI-Mitglieder in Ost- und Zentraljava getötet« wurden. Dieselbe Behörde kabelte am 15. April 1966 die Notiz nach Washington: »Wir wissen, ehrlich gesagt, nicht genau, ob die tatsächliche Zahl näher bei 100.000 oder bei 1.000.000 liegt, doch wir halten es für klüger, vor allem im Fall von Nachfragen seitens der Presse, von der niedrigeren Schätzung auszugehen.«

Howard Federspiel, 1965 als Indonesien-Experte im Büro für nachrichtendienstliche Aufklärung und Forschung im State Department tätig, konstatierte nach einer Ende Januar 1966 vorgenommenen Abgleichung US-amerikanischer mit indonesischen Todes- und Verhaftungslisten, dass die Armeeführung unter Suharto die PKI zerstört habe. »Keinen kümmerte das«, erklärte Federspiel in einem Interview mit der Journalistin Kathy Kadane im Mai 1990, »solange es sich um Kommunisten handelte, die abgeschlachtet wurden«.

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