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Aus: Ausgabe vom 22.09.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Geschichte der Arbeiterbewegung

Die letzten Kommunisten

Ein lesenswerter Dokumentenband über den Gewerkschaftsfunktionär Willi Bleicher
Von Leo Schwarz
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Ein Freund des Streiks: Bleicher als Chef der IG Metall in Baden-Württemberg (9.10.1967)

Willi Bleicher ist heute eine fast schon legendäre Gestalt. Der 1981 gestorbene Exkommunist, Buchenwald-Häftling und langjährige Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg steht gleichsam stellvertretend für eine Zeit, in der Auseinandersetzungen um Tarifverträge noch wirkliche Kämpfe und führende Gewerkschaftsfunktionäre nicht durchweg gesichts- und profillos waren.

Hermann G. Abmayr, der 1992 eine Biographie Bleichers veröffentlicht hat, legt nun einen umfangreichen Dokumentenband vor, der Material versammelt, das ihm beim Schreiben der Biographie in Teilen noch nicht zur Verfügung stand. Im Mittelpunkt stehen die Briefe, die Bleicher ab 1936 aus Gefängnis und KZ an seine Angehörigen richtete, und zwei erstmals vollständig abgedruckte lange lebensgeschichtliche Interviews aus den Jahren 1973 und 1975.

Außerdem enthält der Band zahlreiche Reden Bleichers, kleinere Aufzeichnungen und einzelne, durchweg interessante Briefe aus unterschiedlichen Anlässen, etwa an den in der DDR lebenden ehemaligen Buchenwald-Häftling Robert Siewert, mit dem Bleicher sich 1957 über die illegale Thälmann-Gedenkfeier von 1944 austauschte. Und natürlich finden sich auch Dokumente, die mit Bleichers zentraler Rolle bei der Rettung des »Buchenwald-Kindes« Stefan Jerzy Zweig zu tun haben.

Während Bleicher in den streng kontrollierten Briefen aus der Haft kaum als politischer Mensch zur Geltung kommt, ist das in den Interviews um so stärker der Fall. Das liegt nicht etwa daran, dass die Interviewer besonders gut im Stoff standen (1973 etwa lautete eine Frage: »Wenn ich es richtig sehe, war die KPO eine im Ansatz trotzkistische Partei?«), sondern an Bleichers Antworten. Fesselnd etwa ist seine Schilderung der Umstände, unter denen er 1934 in der KPO in den Verdacht geraten war, ein Spitzel zu sein – und daraufhin, auf einer Bank an der Saar sitzend, darüber nachdachte, sich das Leben zu nehmen.

Abmayr weist darauf hin, dass hier erstmals deutlich wird, dass Bleicher trotz seiner KPO-Vergangenheit nach 1945 führende Funktionen in der KPD im Südwesten übernehmen konnte und 1948 auch Delegierter der Konferenz in Herne war, bei der erstmals eine einheitliche Parteiführung für die drei Westzonen gebildet wurde. Darüber, so der Herausgeber, habe Bleicher angesichts des Antikommunismus in der Bundesrepublik später nie öffentlich gesprochen.

Interessant ist auch, dass Bleicher den Beginn seiner Distanzierung von der Partei etwas überraschend mit einer Auseinandersetzung über die »Vertreibung von Millionen« Deutschen aus Osteuropa begründet. Damals sei das Leninsche »Nationalitätenprinzip« (Bleicher) »restlos missachtet« worden, sagte er 1975. Man habe die Arbeiter zusammen mit »Junkern und Kapitalisten« aus ihren Heimatländern geworfen. Er deutet an, dass das aus seiner Sicht »Sympathien« gekostet hat – um dann hinzuzufügen: »Nicht, dass ich den Russen einen Vorwurf machen würde.« Sein Austritt (1950) erfolgte dann nach seinen Angaben im Zusammenhang mit der geforderten Distanzierung von ehemaligen KPO-Leuten, die er nicht mitmachen wollte. Obwohl schon nicht mehr Mitglied der KPD, wurde Bleicher 1950 auf Betreiben einer Gruppe aggressiver Antikommunisten um Siggi Neumann aus dem IG-Metall-Vorstand gedrängt: »Die versammelten sich auf dem Gewerkschaftstag in einem Raum, wo es hieß, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, die letzten Kommunisten rauszufeuern.«

Insgesamt ist der Band lesenswert. Er bietet auch Lesern, die sich nicht in erster Linie für Bleicher persönlich, sondern etwa für die Geschichte des antifaschistischen Widerstandes oder die Geschichte der Gewerkschaften interessieren, viel nützliches Material. Hervorzuheben ist auch, dass Herausgeber und Verlag sich die Mühe gemacht haben, online ergänzende Kurzbiographien zur Verfügung zu stellen. Eine kritische Anmerkung muss allerdings sein: Das Buch ist bis in die Kapitelüberschriften hinein von zahlreichen Flüchtigkeitsfehlern und, was die Beiträge des Herausgebers angeht, leider auch von mitunter fragwürdigen Urteilen durchzogen; es hätte ein gründlicheres Lektorat verdient gehabt.

Hermann G. Abmayr (Hrsg.): Willi Bleicher. Texte eines Widerständigen. Briefe aus dem KZ, Reden und Interviews. Schmetterling, Stuttgart 2025, 457 Seiten, 24,80 Euro

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