»Pensionisten verlieren eine Milliarde Euro«
Interview: Dieter Reinisch, Wien
Die österreichische Regierung hat angekündigt, um wieviel Prozent die Pensionen erhöht werden sollen. Was wurde beschlossen?
Es handelt sich hierbei um keine Erhöhung, sondern eine gesetzlich geregelte Wertanpassung in der Höhe der durchschnittlichen Inflation über zwölf Monate. In diesem Jahr waren es 2,7 Prozent. Die Bundesregierung hat entschieden, dass diese Anpassung nicht durchgängig gilt, sondern nur für Pensionen mit 2.500 Euro brutto. Darüber hinaus gibt es einen Sockelbetrag von 67,50 Euro. Dieser entspricht den 2,7 Prozent bei 2.500 Euro.
Die Regierungsparteien Neos und ÖVP wollten eine niedrigere Anpassung unter dem Inflationswert.
Man muss zwei Dinge berücksichtigen: Es gibt eine neoliberale Handschrift der Neos und der ÖVP. Die Neos wollten einen Zielwert von 2,2 Prozent erreichen, die ÖVP und Kanzler Christian Stocker forderten 2,0 Prozent.
Wenn die Erhöhung über alle Pensionen durchgerechnet wird, dann ergibt sich ein Wert von 2,25 Prozent. Das ist somit keine echte Wertanpassung, sondern ein Verlust. Durch die durchschnittlich geringere Anpassung verlieren die Pensionisten dieses Jahr 350 Millionen Euro.
Durch die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags wurden sie bereits mit 500 Millionen Euro belastet. Wenn man dann noch die anderen neuen Gebühren, wie die Selbstbehalte bei den Krankentransporten, Aussetzen des dritten Drittels bei der Anpassung der kalten Progression und die anderen Verschlechterungen hinzurechnet, dann ist den Pensionisten in diesem Jahre eine Milliarde Euro weggenommen worden.
Diese Milliarde weniger für Pensionisten wird nicht nur 2026, sondern in jedem Jahr schlagend. Denn natürlich werden die Erhöhungen bei den Krankenversicherungsbeiträgen fortgesetzt und die fehlende Anpassung in diesem Jahr wird sich ebenso wie ein Zinseszins in den darauffolgenden Jahren weiterziehen.
Die Sozialdemokratie feiert die Anpassung als ihren Erfolg und behauptet, 71 Prozent der Pensionisten erhielten eine vollständige Pensionsanpassung.
Das ist nicht richtig, wenn man das österreichische Steuersystem bedenkt: Denn die Wertanpassung wird oben auf die Bruttopensionen draufgeschlagen und dadurch bleibt am Ende netto weniger übrig oder maximal eine Null – auch jenen, die 2,7 Prozent auf die aktuelle Bruttopension bekommen.
Wie hoch sind die Pensionen in Österreich durchschnittlich?
Die Durchschnittspension liegt bei 2.300 Euro brutto, was rund 2.000 Euro netto bedeutet. Die Armutsgrenze liegt bei 1.700 Euro. Die Pensionen sind also alles andere als üppig.
Was waren die Forderungen des Gewerkschaftlichen Linksblocks?
Wir haben gemeinsam mit dem Zentralverband der Pensionisten die Forderung nach drei Prozent aufgestellt. Allerdings haben wir die Anpassung anders berechnet: Wir haben drei Prozent bei der Durchschnittspension von 2.300 Euro angesetzt und das als Fixbetrag für alle Pensionisten gefordert. Das wäre eine solidarische Umverteilung von oben nach unten, die bei der Anpassung der Regierung fehlt. Bei unserem Modell würden alle Pensionisten etwa 50 Euro mehr bekommen.
Das ganze Ergebnis macht Druck auf die bald beginnenden Kollektivvertragsverhandlungen. Auch dort wird es heißen: Nulllohnrunde oder Anpassung deutlich unter der Inflationsrate.
Am Montag beginnt mit den Verhandlungen bei den Metallarbeitern die Herbstlohnrunde. Was erwarten Sie davon?
Ich befürchte, dass sich die Gewerkschaften wieder sozialpartnerschaftlich über den Tisch ziehen lassen. Bei den Metallern wird schon seit Monaten verkündet, wie schlecht es der Industrie gehen würde. Ich gehe davon aus, dass es relativ rasch eine Einigung geben wird. Ich vermute, dass es aufgrund der Teuerungen Einmalzahlungen geben wird, aber das löst das Problem nicht.
Wie die Situation sich derzeit darstellt, würde ich behaupten, dass die Gewerkschaften und die Verhandlungsteams zu diesem Thema nicht mobilisieren werden.
Josef Stingl, Vizevorsitzender des Gewerkschaftlichen Linksblocks, ist im Bundespensionistenvorstand des Österreichischen Gewerkschaftsbunds
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