Kampf um schwarze Null
Von Frederic Schnatterer
Die heftige Wahlschlappe in der Provinz Buenos Aires vor zwei Wochen war noch nicht verdaut, da hagelte es für den argentinischen Präsidenten Javier Milei die nächsten Niederlagen. Am Mittwoch stimmte das Abgeordnetenhaus mit der nötigen Zweidrittelmehrheit für die Aufhebung der Präsidialvetos gegen ein Gesetz zur Hochschulfinanzierung sowie ein Notstandsgesetz für Pädiatrie. Für die endgültige Aufhebung ist nun noch ein entsprechendes Votum im Senat notwendig. Dort verfügt die Opposition über eine komfortable Mehrheit.
Es wäre das zweite Mal seit Mileis Amtsantritt Ende 2023, dass ein Veto von ihm überstimmt wird. Seine Ablehnung der beiden Gesetze begründet der ultraliberale Präsident damit, diese gefährdeten die schwarze Null im Staatshaushalt. Das Argument, Argentinien verfüge nicht über ausreichend Mittel, hat sich zum Leitmotiv von Milei entwickelt. Seiner berüchtigten Kettensäge fallen vor allem Sozialausgaben zum Opfer.
Dieses Mal jedoch hatte Milei seine Feinde schlecht gewählt. Das öffentliche Hochschulsystem des Landes gilt als exzellent und ist der Stolz vieler Argentinier, auch das weit über die Hauptstadt hinaus bekannte Kinderkrankenhaus Garrahan entwickelte sich zum Symbol der Proteste. Am Mittwoch feierten Zehntausende im Zentrum von Buenos Aires die Ergebnisse der Abstimmungen im Abgeordnetenhaus. Auch in anderen Städten des Landes waren Studierende, Universitätsangestellte und Beschäftigte des Gesundheitswesens auf die Straße gegangen.
Wie angeschlagen der Präsident mittlerweile ist, war bereits am Montag deutlich geworden. In einer landesweit ausgestrahlten Fernsehansprache stellte Milei den Haushalt für das kommende Jahr vor. Dabei trat er deutlich weniger aggressiv und offensiv auf als üblich. Mit den Provinzgouverneuren, die im Streit um ausbleibende Zahlungen der Zentralregierung zuletzt auf Konfrontationskurs gegangen waren und die er wiederholt als »Ratten« beleidigt hatte, wolle er ins Gespräch kommen. Zudem versicherte Milei in der knapp 15minütigen Ansprache, die Mittel für Bildung und Universitäten, Gesundheitswesen, Altersvorsorge und Behindertenversorgung anheben zu wollen. Sein Versuch, mit sozialen Themen zu punkten, dürfte nicht mehr als Wahlkampfgetue sein. Seit der heftigen Klatsche in der wichtigen Provinz Buenos Aires gegen den oppositionellen Peronismus Anfang September ist Milei politisch geschwächt. Hinzu kommen immer offener zutage tretende Wirtschaftsprobleme.
Die Angst, dass diese bis zur für die Regierung enorm bedeutenden Parlamentswahl am 26. Oktober noch an Schärfe gewinnen werden, stand Milei am Montag buchstäblich ins Gesicht geschrieben. »Wir konnten den Rückgang der Inflation, die Verringerung der Armut und das Ende der Währungskontrollen feiern«, behauptete er. Doch obwohl die Regierung unverkennbar »erfolgreich« sei, nehme er wahr, »dass das für viele in der Realität noch nicht spürbar geworden ist«. Am »unverhandelbaren Prinzip« eines ausgeglichenen Haushalts werde seine Regierung jedoch festhalten. »Der ausgeglichene Haushalt ist die endgültige Lösung für die Probleme, unter denen Argentinien leidet« und der »einzige Weg« zu Wohlstand im Land.
Insgesamt umfasst Mileis Haushalt für 2026 Ausgaben im Wert von umgerechnet knapp 100 Milliarden US-Dollar – laut dem Präsidenten »die niedrigsten Ausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in den letzten 30 Jahren«. Dabei arbeitet die argentinische Regierung mit Wirtschaftsprojektionen, die mindestens als optimistisch bezeichnet werden müssen. Demnach werde die Inflationsrate für das Jahr 2025 insgesamt 24,5 Prozent betragen, für das kommende Jahr wird sie gar mit nur insgesamt 10,1 Prozent angegeben. Der Wechselkurs des US-Dollars zur Landeswährung werde bis Ende des Jahres von derzeit 1.480 auf 1.325 Peso fallen. Für Ende 2026 wird ein Kurs von 1.423 Peso projiziert.
Am Mittwoch bezeichnete Wirtschaftsjournalist Alejandro Bercovich im Sender Radio con vos den Haushalt als »Zugeständnis an die Gläubiger und als politisches Signal an den Internationalen Währungsfonds«. Und: »Sie geben eine geringe Inflationsrate und einen günstigen Dollar-Kurs an, während die Staatseinnahmen zu hoch angesetzt werden.« Sobald die Vorhersagen nicht so einträfen, wie projiziert, würden die Ausgaben angepasst, so Bercovich – und zwar genau in den Bereichen, die der Fonds für Kürzungen vorgesehen habe. »Der Haushalt 2026 sagt zwei Dinge aus: Das Schlimmste steht erst noch bevor, und nicht Milei hat in Argentinien das Ruder in der Hand, sondern der Internationale Währungsfonds«, so das Resümee.
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