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Aus: Ausgabe vom 20.09.2025, Seite 15 / Geschichte
Antifaschismus

Versuch zur Einigkeit

Vor 90 Jahren traten im Pariser Hotel Lutetia erstmals Vertreter verschiedener deutscher Parteien zusammen, um eine Deutsche Volksfront zu bilden
Von Michael Henkes
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Das Luxushotel Lutetia existiert bis heute. Aber am historischen Ort erinnert nichts an die Volksfront. Die Anbringung einer Plakette lehnte das Hotel im Jahr 2020 ab (Aufnahme von 1910)

Wenn heute an den Begriff der »Volksfront« gedacht wird, so zumeist an die »Front populaire« in Frankreich 1936/37 oder die »Frente Popular« in Spanien 1936/39. Fast in Vergessenheit geraten sind die – letztendlich gescheiterten – Versuche der Schaffung einer deutschen Exilvolksfront in Frankreich Mitte der 1930er Jahre. Ein Blick auf dieses unterbelichtete Kapitel des deutschen Exils und Widerstands lohnt sich. In diesem, seinen bekannteren Pendants in Frankreich und Spanien zeitlich vorausgehenden, Prozess verdichten sich diverse Aspekte des deutschen Exils: die Frage nach der Rolle der großen deutschen Arbeiterparteien im Exil, nach der Bedeutung linker Intellektueller, die unterschiedlichen Konzeptionen für ein postfaschistisches Deutschland und die dahinterstehenden antifaschistischen Strategien wie auch die Illusionen der Exilanten über den Zustand ihrer Heimat.

KI korrigiert sich

Untrennbar verbunden mit dem Versuch einer Deutschen Volksfront, die meist nach dem Pariser Hotel, in dem sie tagte, als »Lutetia-Kreis« bezeichnet wird, ist die theoretisch-strategische Wende der Kommunistischen Internationalen (KI) auf ihrem VII. Weltkongress, der vom 25. Juli bis zum 20. August 1935 tagte. Dort analysierten die Kommunisten die politischen Entwicklungen, zuvorderst den Aufstieg faschistischer Bewegungen in Europa und die damit einhergehende wachsende Kriegsgefahr. Sie gingen dabei hart mit sich selbst ins Gericht. In Referaten kritisierten führende Funktionäre wie Georgi Dimitroff und Wilhelm Pieck eigene Fehler: Bei aller berechtigten Kritik an dem Verhalten sozialdemokratischer Führer vor allem in Deutschland wurde die »Sozialfaschismusthese« nun zurückgewiesen. Zwar wurde die Sozialdemokratie auch weiterhin als soziale Stütze des Kapitalismus betrachtet, als eine Partei, die die Arbeiterklasse in das Bestehende zu integrieren suche, die Rolle der Sozialdemokratie als »Zwillingsbruder« des Faschismus aber wurde zurückgewiesen.

Das eröffnete die Möglichkeit für die Schaffung einer Einheitsfront der Arbeiterparteien. Zugleich wurde als nächster Schritt im revolutionären Kampf nicht mehr unmittelbar die proletarische Diktatur angestrebt, sondern zunächst auf eine antifaschistische Volksfront orientiert. Diese Volksfronten, so Dimitroff, könnten Übergangsformen zur proletarischen Revolution darstellen, die ihrer Form nach auch (Regierungs-)Bündnisse von Kommunisten, Sozialdemokraten und Teilen des Bürgertums sein könnten. Aufgabe dieser wäre dann zunächst die Erfüllung antifaschistischer und demokratischer Massenforderungen.

Diese beiden theoretisch-strategischen Entwicklungen eröffneten auch der Exil-KPD neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit (wenn auch vorher bereits im deutschen Untergrund partiell eine parteiübergreifende Arbeit stattfand und auch der Begriff »Volksfront« schon Verwendung fand). Treibende Kraft bei den deutschen Bemühungen, eine solche Volksfront zu organisieren, war der kommunistische Verleger Willi Münzenberg. Das war kein leichtes Unterfangen, waren doch die Wunden aus der Weimarer Zeit tief. Es herrschte tiefes gegenseitiges Misstrauen unter den Hitlergegnern im Exil. Trotzdem gelang es Münzenberg mit ausdauernder Beharrlichkeit, ein erstes Treffen am 26. September 1935 zu organisieren.

Anwesend waren neben Vertretern der Arbeiterparteien auch bürgerliche Hitlergegner. Nach mehreren Monaten der Vorbereitung kam dann am 2. Februar im namensgebenden Hotel »Lutetia« im 6. Arrondissement von Paris der erste größere Volksfrontkreis zusammen. Geladen hatten der linksbürgerliche Schriftsteller Heinrich Mann und der SPD-Abgeordnete Max Braun. Es trafen sich 118 Vertreter verschiedenster Zirkel des antifaschistischen Exils. Die KPD war mit 23 Teilnehmern vertreten – neben Münzenberg auch führende Funktionäre wie Franz Dahlem, Alexander Abusch und Hermann Matern. Allerdings sprach keiner von ihnen offiziell für das Zentralkomitee der KPD. Die Sozialdemokraten waren mit 20 Mitgliedern vertreten, darunter Rudolf Breitscheid. Auch unter ihnen war kein offiziöser Vertreter der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Exil (Sopade). Des weiteren waren 37 Vertreter antifaschistischer bürgerlicher Gruppierungen und acht Vertreter kleinerer sozialistischer Gruppen zugegen. Neben Heinrich Mann nahmen auch die Intellektuellen Klaus Mann, Lion Feuchtwanger und Ernst Toller an dem Gründungstreffen teil.

Früh zeigten sich die erwartbaren prinzipiellen Differenzen zwischen den Gruppierungen. Einerseits wog das Misstrauen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten schwer, und die Sopade weigerte sich mit Blick auf die KPD, eine Einigung voranzutreiben. Andererseits beharrten die bürgerlichen Vertreter auf der Ausarbeitung eines Regierungsprogramms für den Sturz nach Hitler – bei völliger Verkennung der Lage in Deutschland. Zudem misstrauten sie der Aufrichtigkeit der KPD in puncto ihrer Volksfrontstrategie – während dieselbe von den kleineren linken Gruppen als Verrat am Klassenkampf gedeutet wurde. Auch die KPD-Führung im Pariser Exil, vertreten durch Walter Ulbricht, begegnete der Konferenz mit Distanz. Sie bestand auf einem verbindlichen und offiziellen Treffen der Vertreter jener Gruppen, die in Deutschland organisiert im Untergrund tätig waren. Anderweitig hätten programmatische Diskussionen wenig praktische Relevanz. Auch gab es innerhalb der KPD Differenzen hinsichtlich der Anwendung der neuen Linie. Trotz dieser Probleme entfalteten der Lutetia-Kreis und sein ständiger arbeitender Ausschuss unter Heinrich Mann durchaus praktische Wirkung: Er gab Kommuniqués unter dem Titel »Deutsche Informationen« über den faschistischen Terror in Deutschland heraus und organisierte ein Hilfskomitee für Flüchtlinge.

Zu große Differenzen

Parallel dazu nahm der ständige Ausschuss des Lutetia-Kreises die Arbeiten zur Erstellung eines Programms auf sich, die ihn einen großen Teil des Jahres 1936 beschäftigten. Am 21. Dezember 1936 war es schließlich soweit: Der »Aufruf an das Deutsche Volk! Bildet die deutsche Volksfront. Für Frieden, Freiheit und Brot!« wurde veröffentlicht. Er war im besten Sinne ein Kompromiss. Nach einer Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Lage Deutschlands skizzierte er ein soziales, liberal-demokratisches Programm, das das Maximum dessen abbildete, auf das sich die Vertreter des Exils einigen konnten. Darunter fielen: die Aufhebung aller Ausnahmegesetze, das Ende der »Rassenhetze«, die Wiederherstellung demokratischer Grundrechte, die Bestrafung aller Naziverbrecher und das Ende der Kriegspropaganda.

Ungeachtet dessen scheiterte der Lutetia-Kreis, weil die inhaltlichen Differenzen einfach zu groß waren. Im April 1937 traf er sich ein letztes Mal. Noch stärker als an den Vertretern der einzelnen Parteien und Organisationen scheiterte die Deutsche Volksfront aber an einer fehlenden Massenbasis. Auch wenn die Beispiele für den individuellen und organisierten Widerstand gegen den Faschismus zahlreich sind, insbesondere von Arbeiterinnen und Arbeitern, so blieb der Widerstand doch marginal im Verhältnis zur gesamten deutschen Bevölkerung. Der größte Teil der Deutschen tolerierte den Faschismus – besonders im (Klein-)Bürgertum überwog gar die Sympathie bis hin zu aktiver Unterstützung. Die Größe ihrer Anhängerschaft im Reich wurde von den meisten Vertretern des Lutetia-Kreises deutlich überschätzt.

Für Frieden, Freiheit und Brot!

Erfüllt von der Überzeugung, dass die braune Tyrannei einzig und allein durch den Zusammenschluss aller zum Kampf für Freiheit und Recht bereiten Deutschen gebrochen werden kann, rufen wir unsere Volksgenossen im Reich und im Ausland auf, sich in einer Deutschen Volksfront zu vereinigen.

Die Volksfront will keine neue Partei sein. Sie soll ein Bund aller derer werden, die entschlossen sind, ihre Kraft für Freiheit und Wohlstand des deutschen Volkes einzusetzen. Alle in ihr vereinigten Parteien und Gruppen bleiben ihren besonderen, weiterreichenden Zielen treu. Alle eint der Wille, die braune Zwangsherrschaft zu vernichten.

Aus dem Aufruf »Bildet die ­Deutsche Volksfront!«

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