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Aus: Ausgabe vom 20.09.2025, Seite 8 / Inland
Schwangerschaftsabbrüche

»Oft sind es gerade finanzielle Erwägungen«

Bündnis protestiert gegen reaktionäre »Lebensschützer« und kinderfeindliche Politik. Ein Gespräch mit Ines Scheibe
Interview: Marc Bebenroth
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»Mein Körper, meine Entscheidung«: Protestplakat gegen den »Marsch für das Leben« und für die Abschaffung des Strafrechtsparagraphen 218 (Berlin, 21.9.2024)

Diejenigen, die an diesem Sonnabend als »Marsch für das Leben« in Berlin und Köln auf die Straße gehen, sprechen Frauen das Recht ab, über ihre ungewollte Schwangerschaft zu entscheiden. Was macht deren Ideologie so gefährlich, dass Widerstand notwendig ist?

Veranstalter ist der Bundesverband für Lebensrecht. Zu den Anhängern der Lebensschutzbewegung zählen auch Juristen, Ärzte, deren Organisationen und eben erzkonservative Katholiken. Diese organisieren nicht nur seit 2002 jene Märsche in Deutschland, sondern nehmen auch politisch zunehmend Einfluss.

Wie üben sie den aus?

Anfang des Jahres war beispielsweise im Bundestag ein Gesetzentwurf eingebracht worden von Abgeordneten, die damit eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen erreichen wollten. Daraufhin trat die »Aktion Lebensrecht für alle«, kurz Alfa, auf den Plan. Der Verein hat eine relativ große Anzahl von Mitgliedern und startete eine Postkartenaktion an alle Abgeordneten. Alfa spielt eine zentrale Rolle in dieser Lebensrechtsbewegung und wird international unterstützt. Sie nehmen auch Einfluss auf die Schulpläne zum Aufklärungsunterricht.

Was wollen sie damit erreichen?

Das Ziel ist, alles zu verbannen, was aus deren Sicht wider die Natur oder wider die Gottgegebenheit ist. Sie verteufeln deshalb Verhütungsmittel wie Kondome. Vor allem aber betrifft es Eingriffe am Anfang und am Ende des Lebens. Sie betreiben eigene Beratungsstellen, die dann zum Beispiel »Pro Femina« genannt werden. Das kann Frauen in die Irre führen, da eine progressive Beratungsorganisation »Pro Familia« heißt, die für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper und ihr Leben eintritt. Die Fundamentalisten machen auch Kampagnen und verschicken Föten aus Plastik an Abgeordnete. Eine Beratungsorganisation dieser Szene wurde bereits staatlich gefördert, nun sollen mit dem neuen Bundeshaushalt deren Mittel verdoppelt werden.

Im Koalitionsvertrag versprechen Union und SPD, ungewollt schwangere Frauen zu unterstützen, »um das ungeborene Leben bestmöglich zu schützen«. Was spricht gegen diese Priorisierung?

Deutschland wird international immer wieder dafür gerügt, dass es Frauen, die sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden, so schwer gemacht wird. Wenn die Regierung sagt, sie möchte die Situation zum Schutz des ungeborenen Lebens verbessern, frage ich mich: Sollen die Frauen bedrängt werden, doch Kinder auszutragen, die sie nicht haben wollen? Welche Unterstützungsmaßnahmen gibt es für Betroffene? Ich wüsste nicht, dass da irgendwas bei diesem angespannten Haushalt geplant ist.

Das Narrativ der »Lebensschützer« ist: Wenn die Frau schwanger geworden ist, muss sie sich in ihr Schicksal fügen. Ich war viele Jahre Beraterin in einer Stelle für Schwangerschaftskonfliktberatung. Ich kenne die Gründe von Frauen. Oft sind es ja gerade finanzielle Erwägungen und Fragen der Verantwortung. Die Armut insgesamt hat in Deutschland zugenommen, und das betrifft vor allem Frauen, die meist in schlechter bezahlten Jobs arbeiten. Die überlegen sich, ob sie die Verantwortung für ein Kind übernehmen, besonders wenn nicht unbedingt ein Partner da ist, der sich willig zeigt, sich kräftemäßig sowie finanziell für das gemeinsame Kind einzubringen.

Werden Sie mit dem Aktionstag am Sonnabend mittag in Berlin die Soziale Frage in den Fokus rücken?

Jedes Kind hat das Recht auf eine optimale Entwicklung. Der Kampf gegen Kinderarmut ist eine enorme gesellschaftliche Aufgabe. Wenn man hört, was Erzieherinnen oder Lehrerinnen erzählen, wie die Kinder kein Frühstück dabei haben, oft tagelang oder eine ganze Woche die gleiche Kleidung tragen und so weiter … Da fängt der Lebensschutz für mich an. Statt dessen werden in allen Bundesländern die Mittel immer mehr reduziert. Oder nehmen Sie den Wohnungsmarkt: Wenn man ein Kind erwartet und in einer Einraumwohnung lebt, braucht man eine neue Wohnung. Aber wer kann sich noch diese Mieten leisten?

Kundgebung: Sonnabend, 12 Uhr, vor dem Paul-Löbe-Haus, Berlin

kurzlinks.de/aktionstag-selbstbestimmung

Ines Scheibe ist Mitbegründerin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung

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