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Aus: Ausgabe vom 20.09.2025, Seite 7 / Ausland
Krieg gegen Gaza

Londons Luftnummer

Großbritannien prescht mit Anerkennung Palästinas vor, während Israel enger Partner bleibt
Von Luca Schäfer
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So ist es: »Starmer hat Blut an seinen Händen« (London, 29.7.2025)

Israel müsse »wesentliche Schritte« im Hinblick auf ein Ende des Genozids in Gaza unternehmen, um noch verhindern zu können, dass London den Staat Palästina anerkennt. Das hatte der britische Premier Keir Starmer Ende Juli erklärt, denn: »Wir sehen hungernde Babys, Kinder, die zu schwach sind, um zu stehen – Bilder, die uns ein Leben lang begleiten werden.« Will die extrem rechte israelische Regierung um Benjamin Netanjahu diese rhetorische Ohrfeige sowie eine weitere internationale Scheinisolierung noch abwenden, ist Eile geboten: Die sogenannte High-Level-Generaldebatte der UNO (also die Redewoche der Staats- und Regierungschefs) beginnt kommenden Dienstag in New York. Und die britische Times berichtete am Mittwoch, dass Starmer die Anerkennung gar noch vorher aussprechen will – nach dem am Donnerstag abend beendeten Staatsbesuch von US-Präsident Donald Trump.

Der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Danny Danon, kritisierte eine mögliche Anerkennung vorsorglich. Der frühere »Verteidigungsminister« übte sich via X in der tradierten Täter-Opfer-Umkehr: Israel habe »bereits mehrfach einem Waffenstillstand zugestimmt«; die Hamas habe die Krise verursacht und Israel bekomme »die Schuld dafür«. Das Außenministerium setzte noch einen drauf und fabulierte von einer »Belohnung« für die Hamas.

Aber die medialen Echokammern der Herrschenden können beruhigt werden: Kaum ein Staat steht so fest an der Seite der zionistischen Aggressoren wie Großbritannien – Rhetorik ist schließlich nicht mit Sanktionen oder Entflechtung gleichzusetzen. Denn der britische Imperialismus ist aufs engste mit dem israelischen Staat verflochten. Zwar stoppte London zuletzt Handelsgespräche mit der israelischen Regierung – mit 5,8 Milliarden Pfund Sterling in den zwölf Monaten bis März ohnehin keine nennenswerte Größe –, sonst wurden keinerlei Verbindungen abgeschnitten. Im Gegenteil: Die Überwachungsflüge der Royal Air Force (RAF) über dem Gazastreifen werden fast täglich fortgesetzt, um nach eigenen Angaben Israel dabei zu helfen, die in der Enklave festgehaltenen Geiseln zu lokalisieren. Die dazu verwendeten Geheimdienstinformationen sollen darüber hinaus per Folter von Palästinensern erzwungen worden sein, berichtete das britische Investigativportal Declassified am 12. September. Wenige Tage später enthüllte das Portal eine Liste von Israelis, die das Royal College of Defence Studies in London absolviert haben. Es soll sich um mindestens 32 Offiziere handeln, unter ihnen der derzeitige Chef des Südkommandos der israelischen Armee, Oberst Janiw Asor, der die Militäreinsätze in Gaza befehligt. Ihm wird vorgeworfen, nicht gegen das willkürliche Töten von hungernden Zivilisten vorgegangen zu sein, wie Haaretz im Juni berichtete. Mindestens zwei Offiziere sollen noch nach Kriegsbeginn 2023 ausgebildet worden sein. Die Veröffentlichung hat ihren Zweck aber offenbar nicht verfehlt: So erklärte das College, für das kommende Jahr keine Israelis zulassen zu wollen.

Auf anderer Ebene wird weiter kooperiert. Seit 2015 hat Großbritannien Waffen im Wert von mindestens 500 Millionen Pfund Sterling an Israel exportiert. Und die Waffenlieferungen gehen weiter, wie die »Campaign against Arms Trade« (CAAT) erst am 8. September anmerkte. Das betrifft insbesondere Komponenten für das Kampfflugzeug F-35, mit dem Israel Gaza bombardiert. Darüber hinaus gab es Dutzende Treffen zwischen beiden Seiten, so besuchte Israels Luftwaffenkommandeur Tomer Bar die Insel, um Mitte Juli an der »Royal International Air Tattoo« der britischen Flugwaffe teilzunehmen – geheim und unter Zusicherung einer speziellen diplomatischen Immunität, die vor Strafverfolgung schützt, wie die Regierung in London kürzlich einräumen musste.

Und der Sozialdemokrat Starmer steht unter Druck: Jede Woche demonstrieren Zehntausende für ein Ende des Gazakriegs, etwa 6,5 Prozent der Bevölkerung in England und Wales sind arabischer Herkunft, die Kritik aus der eigenen Labour-Partei wird lauter. Und seine Zustimmungswerte fallen schon länger, die Lebenshaltungskosten explodieren, und Massenproteste gegen die Migrationspolitik machen eine außenpolitische Luftnummer zum Pflichtsieg.

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