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Aus: Ausgabe vom 20.09.2025, Seite 6 / Ausland
Brief aus Jerusalem

»Das waren die Christen«

Brief aus Jerusalem: Nach Massaker 1982 wies Israel Schuld von sich. In Gaza brüstet es sich damit
Von Helga Baumgarten, Jerusalem
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Hingerichtet im Auftrag Israels: Opfer des Massakers von Sabra und Schatila vom 16. bis 18. September 1982

Robert Fisk war einer der ersten internationalen Journalisten, die sich am 16. September 1982 nach dem Massaker an Palästinensern nach Sabra und Schatila wagten. Die israelischen Soldaten am Eingang des Lagers im südlichen Stadtgebiet von Beirut erklärten ihm laut seinem als Buch erschienenen Bericht: »Das sind alles Terroristen.« Auf die entsetzte Frage von Fisk: »Riechen Sie nicht den Gestank des Todes? All das erinnert doch an Treblinka«, erhielt er keine Antwort. Auch nicht auf seinen Einwand, dass es im Lager nur Tote gäbe: Frauen, Kinder, Babys, Greise – insgesamt 1.700 Menschen. Die Soldaten und Offiziere blieben stur. »Bleiben Sie weg von der Straße. Die Terroristen werden sie erschießen.« Ein Soldat erklärte ihm schließlich: »Wir Israelis machen so etwas nicht. Das waren die Christen.« Ein Phalangist (faschistischer christlicher Milizionär, jW), so die weitere Erklärung, habe einem Offizier ins Gesicht gesagt: »Schwangere Frauen werden Terroristen gebären. Wenn sie groß sind, werden sie Terroristen sein.« Doch Fisk zitiert in seinem Bericht einen Leutnant, mit dem er über Sabra und Schatila blickte: »Ich wäre froh, wenn die alle tot wären. Ich wäre froh, wenn all die Palästinenser tot wären, weil sie eine Plage sind, wohin auch immer sie gehen.«

Alle Informationen, die Fisk und seine Kollegen zusammentrugen, zeigen, dass die Phalangisten von Israel bewaffnet und trainiert worden waren. Die Armee hatte sie in die Lager gelassen und das gesamte Gebiet hell beleuchtet, um die Massaker zu ermöglichen. Fisk zitierte auch den israelischen Philosophen Jeschajahu Leibowitz, der schrieb, dass »das Massaker von uns angerichtet wurde. Die Phalangisten sind unsere Söldner, genauso wie die Ukrainer und die Kroaten und Slowaken Söldner von Hitler waren, der sie organisierte, damit sie als Soldaten für ihn die Arbeit erledigten. Nicht anders haben wir die Mörder im Libanon organisiert, um die Palästinenser zu ermorden.« Fisk kritisierte auch den Untersuchungsbericht der von der Regierung eingesetzten Kahan-Kommission von 1983.Ihr sei es ausschließlich um »Zwischenfälle« in »Flüchtlingslagern« in Beirut und um »Terroristen« gegangen.

Gaza im September 2025: Wieder jagt Israel »Terroristen«, und wieder will man, diesmal mit direkter US-Unterstützung, sämtliche »Terroristen« auslöschen. Kampfjets bombardieren erbarmungslos und zerstören die Gebäude, die bis heute noch intakt geblieben sind. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu spricht von der endgültigen Auslöschung der »Hamas-Terroristen«, die sich in den in Schutt und Asche gebombten Hochhäusern versteckt hätten. Schon vorher war durch Politiker und Armee klar artikuliert worden: Jeder Palästinenser ist ein Terrorist, vom Moment seiner Geburt an.

Nach dem ersten Artikel von Robert Fisk in der London Times vom 19. September 1982 gab es Riesendemonstrationen in Tel Aviv, die gegen die Verbrechen der israelischen Armee in Sabra und Schatila protestierten. Heute geht es bei den Demonstrationen in Israel fast ausschließlich um die Rückkehr der Geiseln, nicht um den Völkermord. Die Kritik in der Presse richtet sich zuerst und vor allem gegen Netanjahu, weil er Israel zu einem neuen Sparta und zu einem ewigen Krieg verurteile. Nur eine Minderheit fordert ein Ende des Krieges und eine politische Lösung auf der Basis eines gerechten Friedens. Seit Beginn des Völkermordes in Gaza feiern sich Soldaten online und publizieren Bilder mit ihren Greueltaten. 1982 war man zwar verantwortlich für die Massaker, aber man brüstete sich nicht damit.

Robert Fisk: Sabra und Schatila. Ein Augenzeugenbericht. Promedia-Verlag, Wien 2011

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin Mandl aus Paris (19. September 2025 um 21:16 Uhr)
    Robert Fink schreibt regelmäßig zu Themen des mittleren und nahen Ostens. Sein »Standardwerk« The great war of civilisation (2005, 1283 Seiten) wurde sogar von Financial Times (damals klar kapitalistisch, aber dennoch weltoffen) gelobt. Des weiteren hat er auch Bücher zur Lage in Nordirland veröffentlicht. Lesenswert!

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