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Aus: Ausgabe vom 20.09.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Exposing Zalando

»Von Inklusion kann keine Rede sein«

Zalando unterdrückt im Betrieb palästinasolidarische Positionen. Ein Gespräch mit Nourhan Gehad
Von Ignacio Rosaslanda
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Palästina-Fahnen bei einem Protest vor der Zalandozentrale in Berlin (10.9.2025)

Sie haben rund drei Jahre beim Onlineversandhändler Zalando gearbeitet, bis sie im Februar 2025 kündigten. Wie kam es dazu?

Ich war auf Dienstreise, als der Nahostkonflikt eskalierte, und musste aus der Ferne mit ansehen, wie Zalando sofort Partei für Israel ergriff. Nach einseitigen Beiträgen der Geschäftsführung und des Betriebsrats, wurden kritische Kommentare gelöscht, dann die Kommentarspalte geschlossen. Während meines anschließenden Urlaubs in meiner Heimat Ägypten las ich Berichte über Polizeigewalt gegen palästinasolidarische Demonstrationen in Berlin. Ständig war von »Judenhass« die Rede. Gegen dieses Pauschalurteil habe ich dann auf LinkedIn – der einzigen Plattform, die ich nutze – angeschrieben und damit viele Leute erreicht.

Das muss jemand der Geschäftsführung gesteckt haben. Die rief mich noch während des Urlaubs an, um mir zu sagen, dass meine Beiträge gegen den Ethikkodex verstoßen, dem Ruf Zalandos schaden und andere Kollegen verunsichern würden. Meinem Profil war zu entnehmen, dass ich für Zalando arbeite. Ich wurde gebeten, die Posts zu löschen oder zu ändern, lehnte aber ab und hakte nach, mit welchen Konsequenzen ich rechnen muss. Mein Fall sei kompliziert, hieß es dann. Am nächsten Tag bekam ich eine Mail mit derselben Bitte und lauter wichtigen Leuten im CC. Das hat sich wie eine Hetzjagd angefühlt. Daraufhin habe ich gekündigt. Mein Vorgesetzter teilte mir noch mit, damit würde ich mein Leben wegwerfen, dass kein Unternehmen solche Posts dulden würde.

Was genau hat die Geschäftsführung an Ihren Beiträgen gestört?

Das Telefonat im Urlaub begann die Geschäftsleitung mit den Worten: »Du kannst die Ukraine nicht mit Palästina vergleichen.« Ich habe diese Parallele gezogen, um darauf aufmerksam zu machen, dass Deutschland den ukrainischen Zivilisten, die durch den Einmarsch der russischen Armee bedroht wurden, Hilfe angeboten hatte. Innerhalb kürzester Zeit wurde beschlossen, diese Menschen zu retten und ihnen Asyl zu gewähren. Also habe ich Videos geteilt, die zeigen, wie palästinensische Zivilisten bombardiert werden, wie Kinder leiden oder sterben. Solche Videos haben die hiesigen Medien anfangs unterschlagen und behauptet, Israel habe jedes Recht, wahllos Bomben über Gaza abzuwerfen, weil jeder Araber ein Terrorist sei. Gestört hat die Geschäftsführung auch, dass ich Israel als Terrorstaat bezeichnet habe. Aber was ist die systematische Vertreibung der Palästinenser und die Gewalt gegen sie, wenn nicht Terrorismus?

Sie wurden vor die Wahl zwischen Karriere und politischem Rückgrat gestellt.

Das hat nicht nur mich betroffen. Vielen Kollegen mit arabischem Hintergrund wollten sie den Mund verbieten. Das war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, diskriminiert zu werden. Zalando hat regelmäßig Umfragen verschickt, ob man sich unfair behandelt oder als Teil einer Minderheit fühlt. Erst da wurde mir klar, dass mit Vielfalt vielleicht nur geworben wird. Von Inklusion kann bei Zalando keine Rede sein. Bis dato habe ich gern für Zalando gearbeitet, war sogar stolz darauf.

Wozu würden sie ihrem ehemaligen Kollegium raten?

Da ich allein in Berlin war, fiel mir die Entscheidung zu gehen leichter, als sie Menschen mit Familie fallen würde, zumal der Arbeitsmarkt der Branche zur Zeit schrecklich ist. Insofern verstehe ich Kollegen, die sich dem Diktat der Geschäftsführung beugen. Obendrein ist es in Deutschland schwer, den Rechtsweg einzuschlagen. Ich ging nicht davon aus, einen juristischen Konflikt gegen die gesamte Rechtsabteilung von Zalando gewinnen zu können. Geld hatte ich dafür auch nicht. Wenn man Zalando umkrempeln will, ist es in jedem Fall wichtig, sich untereinander auszutauschen und zu organisieren.

Nourhan Gehad arbeitete von 2022 bis 2025 in Berlin als Mobile Android Engineer für den Onlineversandhändler Zalando

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