Juliette Gréco, unvergessen
Von Florence Hervé
Bekannt wurde sie als Muse der Existentialisten im Pariser Viertel Saint-Germain-des-Prés, bekannt sind heute noch ihre Lieder und anspruchsvollen Chansons. Vor fünf Jahren, am 23. September 2020, starb die Sängerin und Schauspielerin Juliette Gréco im Alter von 93 Jahren. Weniger bekannt ist, dass sie eine »gestohlene« Jugend hatte, und dass sie sich gesellschaftspolitisch engagierte, nicht zuletzt für das Selbstbestimmungsrecht der Frau.
Geboren wurde sie 1927 als Marie-Juliette Gréco in Montpellier. Der Vater korsischer Abstammung, ein Polizist, war meist abwesend. Die aus einer Unternehmerfamilie stammende Mutter hatte eine schwierige Beziehung zur Tochter – diese sei die »Frucht einer Vergewaltigung«. Nach der frühen Trennung der Eltern wuchsen Juliette und ihre ältere Schwester Charlotte bei der geliebten Großmutter in Bordeaux auf, zeitweise auch in einem Kloster. Nach deren Tod zog die Familie 1933 nach Paris. Die 9jährige Juliette wollte Tänzerin werden – und bekam ab 1938 Ballettunterricht in der Pariser Oper. Die Nazibesetzung Frankreichs setzte ihren Träumen ein Ende.
Eine schwere Zeit. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 floh die Familie nach Südwestfrankreich. Mutter und Schwester waren in der gaullistischen Résistance aktiv. Juliette half der Mutter beim Verstecken von verfolgten jüdischen Menschen. Die widerständige Mutter wurde bald inhaftiert und gefoltert. Juliette und ihre Schwester flüchteten mit dem Zug nach Paris, von einem Gestapo-Agenten verfolgt. Im September 1943 saßen beide im berüchtigten Fresnes-Gefängnis – die minderjährige Juliette wurde zusammengeschlagen und nach wenigen Wochen entlassen. Charlotte wurde gefoltert und mit der Mutter 1944 ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert.
Juliette, 16 Jahre alt, allein und ohne Geld. Zuflucht und Unterschlupf fand sie bei einer Freundin ihrer Mutter, der Theaterschauspielerin Hélène Duc, in Saint-Germain-des-Prés. Sie erlernte nun den Beruf einer Schauspielerin. Im Sommer 1945, auf der Suche nach der Mutter und der Schwester, begab sie sich täglich ins Hôtel Lutetia, wo die Überlebenden der Konzentrationslager nach der Befreiung von Paris ab Ende August aufgenommen wurden. Sie fand beide wieder – »lebende Tote«. 50 Jahre später sang Gréco ein Lied zur Deportation und eins zur Résistance. Sie habe eine Erinnerungspflicht für all die Deportierten.
Gréco schloss sich 1945 der kommunistischen Jugendbewegung an und tauchte in die Pariser Bohème ein. Sie verkehrte mit Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und Albert Camus, entdeckte 1946 den Keller unter dem Kabarett im »Le Tabou«, fortan Treffpunkt der Existentialisten und der Jazzszene. Die Bistros und Cafés in Saint-Germain wurden Grécos Universitäten, sie habe dort alles gelernt. Sartre motivierte sie zum Gesang, empfahl ihr für das erste Chanson die Zeilen des Schriftstellers Raymond Queneau »Si tu t’imagines« über die Vergänglichkeit von Schönheit. Ihr erster Auftritt 1949 im »Boeuf sur le toit« wurde ein voller Erfolg.
Von nun an schrieben Schriftstellerinnen und Autoren wie Jacques Prévert, Albert Camus und Françoise Sagan Texte für Gréco, sie sang Gedichte von Louis Aragon, Paul Éluard und die Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill. Sie spielte Rollen im Fernsehen und in mehr als 30 Filmen.
Nach einer tiefen, aber kurzen Beziehung zum Musiker Miles Davis, den sie 1949 beim Festival International de Jazz getroffen hatte, heiratete Gréco dreimal – die Ehe langweile sie – und liebte auch Frauen. Liebe war für sie ohne Gleichberechtigung und ohne Freiheit nicht denkbar. Sie engagierte sich für Frauenrechte, unterstützte den legalen Schwangerschaftsabbruch (sie selbst ließ zweimal abbrechen), kämpfte für gleichen Lohn, für gegenseitige Achtung, für ein harmonisches Zusammenleben und für die Unabhängigkeit der Frau. Aber sie engagierte sich auch für die Rechte von Menschen ohne Aufenthaltstitel und von Homosexuellen. Gréco rebellierte gegen soziales Unrecht, gegen Diktaturen und Kolonialismus, gegen eine Welt, die Milliarden für die Todesindustrie verschwendet. Und sie sang für Freiheit und Frieden und wollte mit ihren Liedern ein wenig Hoffnung vermitteln.
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