Von Macht und Ohnmacht
Von Gerd Schumann
Es sind immer noch die Träume – »Son Los Sueños Todavia«, nannte der kubanische Musiker Gerardo Alfonso sein Lied für Ernesto »Che« Guevara. Sich erinnern an Ideale, an die Hoffnung macht Mut: Auch Mikis Theodorakis lernte schon früh, dass Widerstand und Aufbruch nie vergeblich sind. Hannes Wader hat das griechische Original seines »Helden« Theodorakis »Sto Perigiali To Krifo« von 1964 (Text: Giorgos Seferis, auf deutsch auch bekannt als »Zusammenleben« von Milva) nachgedichtet. »Scheint auch der Kampf für uns verloren / und auch die Welt kein bess’rer Ort, / leben in denen, die uns nachgeboren / und jung sind, doch uns’re Träume fort.«
16 Songs sowie als Rahmen zwei Texte von Friedrich Hölderlin hat der Liedermacher im Studio von Günter Pauler aufgenommen, eine glänzende Produktion. Mit Pauler arbeitete Wader bereits vor Jahrzehnten zusammen unter anderem bei »Der Rattenfänger« von 1976: ein epochaler Song, ausgezeichnet mit dem Deutschen Kleinkunstpreis, von Wader geschrieben in einer kleinen Cessna auf dem Flug nach Frankreich; zugleich eine Perle, die die wahre Geschichte von Macht und Ohnmacht eines Barden einst zu Hameln erzählt, der die Stadt von der Rattenplage befreit und zum Dank vertrieben wird. Doch hetzt der bunte Vogel weiter und bis heute, analog zur Vergangenheit, »die Kinder« gegen Unrecht und Gewalt auf.
Der Altmeister ist »Noch hier«, wie er sein 26. Studioalbum genannt hat, Untertitel »Was ich noch singen wollte«. Der Vortrag des achtzigjährigen Romantikers ist inzwischen einen Tick getragener, melancholischer geworden – und zugleich wütend und unverzagt geblieben. Wader stand immer auf der Seite der Schwachen und Unterdrückten, verachtend aber auch die Angepassten, die nach oben buckeln und nach unten treten.
Wenn er »Vorm Bahnhof« beobachtet, wie die Bankangestellte, die ihm einst finanziell die Daumenschrauben anlegte, nunmehr bettelt, fühlt er kein Mitleid. Hinter Waders gegenwärtigem Blick auf ihr Elend als Wegrationalisierte lauert bereits Karl Marx: Drei Zitate des Klassikers in einem Song zur Ökonomie des Spätkapitalismus zu bringen, hat sich vor Wader wohl niemand getraut. Oder die tragische Geschichte von »Klaas der Storch«, den nichts und niemand zu vertreiben vermochte aus seinem Horst, bis die Windräder kamen. Die Ökologie frisst ihre Geschöpfe.
Aus der Zeit des US-Kriegs »der Willigen« gegen Irak 2003 stammt Waders »Krieg ist Krieg« und macht in Zeiten des Ukraine-Kriegs, in denen Antimilitaristen als Lumpenpazifisten beschimpft werden, besonders betroffen. Die Wahrheit bleibt auf der Strecke. Den Sänger und Dichter plagen angesichts der allgegenwärtigen Katastrophen »Schlimme Träume«. Indem er sagt: »Ich fürchte mich, fühle mich hilflos«, fasst er ein weitverbreitetes Gefühl in Worte. Der Alp geht um, der trübe »Novembertag« bedrückte schon seine Urgroßmutter Amanda Hose 1912 vor dem ersten großen Krieg, »Es dunkelt schon in der Heide« sang dann seine Mutter, erinnert sich der »Volkssänger«. Aber es gibt auch Mutmacher, Schlagerlieder wie »Plaisir d’Amour«, und manchmal, wenn er sich dem Französischen zuwendet, scheint es, als wäre Wader lieber »westlich vom Rhein« (Franz Josef Degenhardt) groß geworden.
Unterstützt wird der Singer-Songwriter von hochkarätigen Musikern, darunter seine langjährige, ewig junge Weggefährtin Lydie Auvray (Akkordeon), Nils Tuxen (Slide Guitar), Ulla van Daelen (Konzertharfe), Martin Bärenz (Violoncello) und sein alter Freund aus Westberliner Zeiten Reinhard Mey. Wader und Mey präsentieren eine sehnsüchtige Version des Liebeslieds für und auf die Pariser Kommune »Le temps des cerises« (Die Zeit der Kirschen). Auch wenn das Chanson nicht direkt auf die Ereignisse von 1871 eingehe, schreibt Wader dazu, »verbinden es die Franzosen mit der Niederschlagung des Aufstandes und der Erschießung von 147 Kommunarden an der Mur des Fédérés auf dem Friedhof Père Lachaise«.
Nicht verschwiegen werden soll zum guten Schluss eines weiteren »echten Waders«, dass sich im opulenten, 60seitigen Booklet neben Sessionfotos und den Liedtexten jeweils vom Künstler selbst erzählte Geschichten zum Werden und Wachsen der Platte befinden. Das Wort »Träume« taucht darin des öfteren auf. Es hat – sicher – mit Vergangenem und – hoffentlich – Zukünftigem zu tun.
Hannes Wader: »Noch hier. Was ich noch singen wollte« (Stockfisch)
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