»Bekenntnis zu mehr Demokratie wäre gut«
Interview: Marc Bebenroth
Ein Jahr lang haben SPD und CDU um einen Entwurf für einige Änderungen der Verfassung des Saarlandes gerungen. Was ist davon bis zur Landtagssitzung am Mittwoch nach außen gedrungen?
2024 war der »Rasse«-Begriff gestrichen worden, was durchaus öffentliches Interesse geweckt hatte. Aber jetzt hat man von dieser Novellierung relativ wenig mitbekommen.
War die Saar-Linke überrascht von dem, was die allein regierende SPD und die CDU vorhaben?
Überraschend war daran wenig, abgesehen davon, dass die CDU auf den Gottesbezug in der geplanten Präambel verzichtet.
Was fehlt in den geplanten Änderungen?
Es ist gut, dass der Einsatz gegen Antisemitismus und Antiziganismus aufgenommen worden ist. Aber es fehlt eine klare Benennung von Rassismus. Ein Bekenntnis zu mehr Demokratie wäre gut, um die recht hohen Hürden zum Beispiel für Volksinitiativen anzugehen. Die deutsch-französische Freundschaft soll in der Präambel stehen, aber ein klares Bekenntnis zu einem internationalistischen Verständnis von Friedenspolitik fehlt. Mit der Novelle geht auch keine Stärkung sozialer Grundrechte einher: Recht auf Wohnen, auf Bildung, auf Gesundheit, auf soziale Teilhabe oder Kinderrechte.
Das Saarland solle sich dafür einsetzen, »den inneren wie äußeren Frieden zu wahren«. Bedeutet das ein Mehr oder Weniger an Kasernen und Rüstungsbetrieben?
Die Kasernen sollen eher erhalten bleiben. Der Fokus liegt darauf, im Zuge der Transformation im Saarland mehr Rüstungsindustrie anzusiedeln. Gerade im wichtigen Stahlbereich. Die Junge Union brachte ins Spiel, das Ford-Werk in Saarlouis, dem die vollständige Schließung droht, zur Panzerfabrik umzufunktionieren. Dem widersprechen wir deutlich und fordern, die Fabrikanlagen für zivile Produktion zu nutzen. Dafür müssten auch mehr Gelder aus dem Transformationsfonds bereitgestellt werden. Und wo noch Rüstungsproduktion stattfindet, muss diese in öffentliches Eigentum überführt werden.
Welche Ausmaße haben Antisemitismus und Antiziganismus angenommen, dass deren Bekämpfung nun Verfassungsrang erhalten soll?
Wir haben mit RIAS eine Meldestelle für Antisemitismus, die schlägt Alarm. Seit dem 7. Oktober 2023 sind die Fallzahlen enorm gestiegen, auch im Saarland. So wie auf der anderen Seite der antimuslimische Rassismus auch zugenommen hat. Antiziganismus ist lange dramatisch vernachlässigt worden.
Sehen Sie mögliche Folgen für die Palästina-Solidaritätsbewegung, die sich bereits wegen des Anprangerns des Völkermords in Gaza Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt sieht?
Wir kritisieren die unzulässige Repression, keine Frage. Aber wir haben nicht den Eindruck, dass durch diese Änderungen vor allem die Solidaritätsbewegung bekämpft werden soll. Ein positiver Effekt kann sein, dass zum Beispiel Selbstorganisationen von Betroffenen und Bildungsinstitutionen, die dazu Angebote haben, gestärkt werden, inklusive der Erinnerungsarbeit.
Die Beschaffenheit des Verfassungsgerichts soll erstmals in der Verfassung verankert werden. Ist das eine notwendige und ausreichende Maßnahme – die sich gegen eine mögliche AfD-Regierung richtet?
Wenn es nach uns geht, wird die AfD verboten, bevor sie an die Regierung kommt. Die SPD sieht dazu noch viel Beratungsbedarf. Von der CDU kam keine Reaktion.
Was sagen Sie denen, die darauf verweisen, dass Wähler und Unterstützer nicht weg sind?
Millionen an Steuergeldern nicht mehr einer rechtsradikalen Partei in den Rachen zu werfen, finde ich relevanter als die Sorge, wie die sich neu organisieren, nachdem sie verboten werden. Das braucht Zeit und vor allem Ressourcen, die sie dann erst mal nicht haben.
Wie sehr lassen swwich SPD und CDU von der AfD treiben?
Eher nicht, weil die AfD hier sehr inkompetent auftritt. Ansonsten reagieren die Parteien recht ähnlich: Die SPD bedient sich scharfer Rhetorik gegen die AfD, macht aber keine allzu großen Anstrengungen, die sozialen Probleme zu lösen. Die CDU versucht eher, eine seriösere und prowestliche AfD zu sein.
Dennis Kundrus ist stellvertretender Vorsitzender des saarländischen Linke-Landesverbands
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Leserbrief von Ana aus Saarlouis (22. September 2025 um 00:56 Uhr)Dennis positioniert sich klar als Vertreter einer Linie, die sich auf den Kampf gegen Antisemitismus konzentriert, dabei aber jede Auseinandersetzung mit der aktuellen Realität in Palästina ausblendet oder nur am Rande abtut. Wer Antisemitismusberichte der RIAS als alleinige Referenz heranzieht, übernimmt zugleich eine Perspektive, die häufig jede Kritik an Israels Politik in den Bereich des »Verdachts« verschiebt. Dass die junge Welt, die sich stets als Stimme der Solidarität mit den Unterdrückten in Gaza und im Westjordanland versteht, ausgerechnet jemandem mit einem solchen Hintergrund ein Forum gibt, ist irritierend. Natürlich gehört journalistische Vielfalt zur Debattenkultur. Aber Interviewpartner müssen sorgfältig recherchiert und eingeordnet werden. Wenn eine Zeitung, die sich selbst als pro-palästinensisch versteht, Personen befragt, die in zionistischen Strukturen oder Argumentationsmustern verankert sind, ohne dies offenzulegen, dann läuft sie Gefahr, ihre eigene Glaubwürdigkeit zu unterminieren. Die Frage ist nicht, ob man andere Stimmen zu Wort kommen lässt, sondern wie man deren Rolle transparent macht. Ein Interview ersetzt keine kritische Analyse. Eine Redaktion, die Solidarität mit Palästina ernst nimmt, sollte sich nicht damit begnügen, Positionen unhinterfragt wiederzugeben, die strukturell zur Delegitimierung dieser Solidarität beitragen können. Ich wünsche mir, dass die junge Welt künftig genauer hinsieht, wen sie auswählt und wie sie solche Interviews rahmt, gerade in Zeiten, in denen Palästina-Aktivist*innen massiv unter Druck stehen.
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