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Aus: Ausgabe vom 19.09.2025, Seite 1 / Titel
Frankreich

Allons enfants!

Frankreich: Hunderttausende gegen Kürzungs-politik auf der Straße
Von Jakob Renard
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Auf geht’s, Kinder! Französische Schüler machen mit und protestieren gegen die Regierung

Rien ne va plus dans la rue. In ganz Frankreich sind Beschäftigte am Donnerstag dem gemeinsamen Aufruf ihrer Gewerkschaften gefolgt und haben mit Streiks, Demonstrationen und mancherorts auch Blockaden gegen die Austeritätspläne der französischen Regierung protestiert. Nach Angaben der Behörden vom Nachmittag sollen landesweit rund 265.000 Demonstranten auf rund 250 Versammlungen unterwegs gewesen sein. Die Gewerkschaft CGT sprach von mindestens 400.000 Teilnehmern.

Mehr als zehn Prozent der 2,5 Millionen Beschäftigten im Staatsdienst befanden sich im Streik, vor allem das Lehrpersonal. Die Union syndicale lycéenne (USL) gab an, dass mindestens ein Dutzend Gymnasien auf der Île-de-France und 170 Schulen im gesamten Staatsgebiet blockiert worden seien. »Die Schüler bringen massiv ihre Ablehnung der Sparpolitik von Macron und seinem neuen Premierminister Lecornu zum Ausdruck«, hieß es bei der USL.

Derweil meldete der geschäftsführende Innenminister Bruno Retailleau, dass Ordnungskräfte andernorts bereits am Morgen eine Reihe von Blockaden aufgelöst hätten – etwa in Busdepots der Pariser Vorstädte. Insgesamt seien zwischen Lille und Marseille, zwischen Bordeaux und Strasbourg mehr als 80.000 Polizisten und Gendarmen im Einsatz.

Obwohl die Regierung Bayrou am 8. September über ihre Kürzungspolitik gestürzt war, hielt das breite Gewerkschaftsbündnis an den Aktionen gegen die »brutalen Sparmaßnahmen« fest. »Der Beweis dafür, dass die Proteste sinnvoll sind, ist ihre große Teilnehmerzahl«, sagte Marylise Léon, Generalsekretärin der Gewerkschaft CFDT, gegenüber der französischen Zeitung Le Monde. »Was wir heute sehen, ist, dass die Bewegung von 2023 zur Rentenreform weiterhin politische Auswirkungen hat«, sekundierte Caroline Chevé, Chefin der Gewerkschaft FSU.

Die linke CGT machte in einer Erklärung darauf aufmerksam, worum es geht beziehungsweise was auf dem Spiel steht: »Es kommt nicht in Frage, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter zur Kasse gebeten werden, nachdem den Reichsten ohne Gegenleistung Steuergeschenke gewährt wurden.« Mit den Austeritätsplänen drohten Kürzungen im öffentlichen Dienst, eine Aufweichung des Arbeitsrechts, eine weitere Reform der Arbeitslosenversicherung, das Einfrieren der Sozialleistungen und der Gehälter von Beamten und Vertragsbediensteten, die Entkopplung der Renten von der Inflation, die Verdopplung der Selbstbeteiligung bei medizinischen Leistungen und die Infragestellung der fünften Woche bezahlten Urlaubs. »Heute erheben sich die Lohnabhängigen, um zu sagen, dass sie diese endlose Nacht des Macronismus nicht mehr ertragen können«, erklärte die CGT-Generalsekretärin Sophie Binet.

Die Notwendigkeit der Kürzungsvorhaben begründet die französische Regierung mit einer ausufernden Staatsverschuldung. Frankreich ist derzeit mit etwa 114 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verschuldet, das Defizit lag im vergangenen Jahr bei 5,8 Prozent des BIP. Der gestürzte François Bayrou hatte ursprünglich 44 Milliarden Euro einsparen wollen. Der neue Premier Sébastien Lecornu, der noch ohne neue Regierungsmannschaft dasteht, hat zwar geringfügige Zugeständnisse gegenüber der linken Parlamentsopposition angedeutet, dürfte aber am generellen Kurs seines Vorgängers ohne weiteren Druck von der Straße keine Änderungen vornehmen.

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