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Aus: Ausgabe vom 17.09.2025, Seite 4 / Inland
Block-Prozess

Wie eine Militäroperation

Fall Block: Ehemalige Geheimdienstchefs möglicherweise an Kindesentführung beteiligt
Von Philip Tassev
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Steakhauserbin Christina Block (M.) sitzt seit Juli auf der Anklagebank (Hamburg, 3.9.2025)

Was ursprünglich als Sorgerechtsstreit begann, wird zu einem regelrechten Agentenkrimi. In dem Prozess um Kindesentführung gegen Christina Block, Erbin der gleichnamigen Steakrestaurantkette, kommen immer mehr Details ans Licht. Sowohl ein ehemaliger Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) als auch ein Exchef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet (hebräische Abkürzung für »Sicherheitsdienst«) könnten in den Fall verwickelt sein. Am Dienstag hat die Polizei deutschlandweit mehrere Privatadressen und Büros der Hamburger Sicherheitsfirma System 360 durchsucht, in deren Aufsichtsrat der Expräsident des BND, August Hanning, sitzt.

Hanning leitete den deutschen Auslandsgeheimdienst von 1996 bis 2005. Die Hamburger Staatsanwaltschaft teilte am Dienstag mit, dass sie ihn und einen pensionierten Beamten des Landeskriminalamts verdächtigt, bereits 2022 einen Auftrag von Christina Block zur Entziehung ihrer Kinder aus der Obhut des Vaters angenommen und dafür mehr als 100.000 Euro kassiert zu haben. Das Vorhaben scheiterte allerdings, »weil der Kindesvater rechtzeitig verdächtige Personen an seinem Wohnhaus bemerkt und die dänische Polizei informiert hatte«, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Aber auch eine Beteiligung Hannings am zweiten, letztlich erfolgreichen Entführungsversuch wollte die Justizbehörde am Dienstag nicht ausschließen.

Die beiden Kinder wurden schließlich in der Silvesternacht 2023/24, während sie mit ihrem Vater in ihrem süddänischen Wohnort Gråsten dem Feuerwerk zuschauten, entführt. Mindestens fünf Männer sollen laut Anklage auf der Lauer gelegen, dann Christina Blocks Exmann zusammengeschlagen und die damals 13jährige Tochter sowie den drei Jahre jüngeren Sohn in einem Auto über die Grenze und anschließend mit einem Wohnmobil nach Baden-Württemberg gefahren haben. Dabei sollen die Täter die Münder der Kinder mit Klebeband verschlossen und die Tochter zusätzlich an den Händen gefesselt haben. Dann sollen die Kinder in dem Wohnmobil festgehalten worden sein, bis am 2. Januar Block eintraf und sie mit nach Hamburg nahm. Nur drei Tage später ordnete das Hanseatische Oberlandesgericht die Rückführung der Kinder zum Vater an.

Block und ihr Lebensgefährte, der ehemalige »Sportschau«-Moderator Gerhard Delling, sowie fünf weitere Personen sitzen nun seit Juli auf der Anklagebank. Einer der Angeklagten, der israelische Expolizist Tal S., ist der einzige der mutmaßlichen Entführer, der bisher gefasst wurde. Die anderen, ebenfalls alles Israelis, sind europaweit zur Fahndung ausgeschrieben. Einer von ihnen ist David Barkay, ehemaliger Mossad-Agent und Gründer der »Sicherheitsfirma« Cyber Cupola. Er soll über den Block-Unternehmensanwalt angeheuert worden sein und im Dezember 2023 vom familieneigenen Fünfsternehotel Grand Élysée in Hamburg aus die Entführung geplant haben – »wie eine Militäroperation«, schreibt Bild. Auch der Vater der Kinder beschrieb die Aktion in seiner Aussage vor Gericht mit diesen Worten.

Und weil das noch nicht undurchsichtig genug ist, mischt auch noch Werner Mauss mit, der umtriebige »James Bond aus dem Ruhrpott«. Der sagenumwobene Privatdetektiv, V-Mann und Agent Provocateur ließ im Januar dem damaligen Vizepräsidenten des Verfassungsschutzes, Sinan Selen, ein »Dossier« zukommen, in dem Mauss laut Bild darlegt, wie Ex-BND-Chef Hanning den Auftrag für die »Rückführung« der Block-Kinder persönlich an Yaakov Peri, einst Chef des israelischen Geheimdienstes Schin Bet, gegeben hat. Zudem habe Hanning erklärt, die Aktion sei durch seine frühere Behörde gedeckt und abgesichert. Wörtlich soll er gesagt haben, der Auftrag habe Rückendeckung der Bundesrepublik Deutschland.

Der genaue Inhalt des »Mauss-Dossiers«, sofern es existiert, ist bislang nicht bekannt. Hanning bezeichnet alle Vorwürfe als »frei erfunden« und hat ein strafrechtliches Vorgehen gegen Mauss angekündigt. Der wiederum lehnte es bisher ab, sich öffentlich zu äußern, ebenso wie der BND.

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