Der Ozean als Schwamm
Von Thomas Berger
Bisher gab es zwei kleine Pilotprojekte in Kalifornien und in Singapur. Nun soll in dem südostasiatischen Stadtstaat eine deutlich größere Demonstrationsanlage ihren Betrieb aufnehmen. Bei dem Equatic-1 genannten Vorhaben handelt es sich um das bisher umfangreichste Projekt, durch moderne Technologie die natürliche Speicherfähigkeit der Weltmeere für klimaschädliches Kohlendioxid zu erweitern. Eine volle Nutzbarkeit der Anlage, so die jüngste Meldung der The Straits Times aus Singapur, sei im ersten Quartal 2026 vorgesehen. Erste Elemente sollen aber sogar schon Ende September zusammengebaut werden.
Das Vorhaben ist eine Kooperation der federführenden Firma Equatic, ein US-amerikanisches Startup, und der staatlichen Singapurer Wasserbehörde PUB. Gebaut wird die Anlage in Tuas, das an der Straße von Johor im südwestlichen Zipfel des Stadtstaates liegt. Dort soll das vom Equatic-Team entwickelte Verfahren erstmals im größeren Stil genutzt werden – bei Erfolg als Anschauungsbeispiel für viele Folgeprojekte weltweit. Was aus technischer und klimapolitischer Sicht verheißungsvoll anmutet, hat allerdings noch einige Unwägbarkeiten. Bereits vor dem Bau der Anlage gibt es Kritiker, die besorgt auf solche bislang offenen Fragen hinweisen.
Dass die Ozeane neben den Wäldern ein riesiger CO2-Speicher sind, ist inzwischen weit über Expertenkreise hinaus vielen Menschen bewusst. Equatic greift mit seinem Ansatz diese Fähigkeit auf: Im Meerwasser »eingefangenes« Kohlendioxid soll abgespalten und in beständigen chemischen Verbindungen dauerhaft »eingelagert« werden. Am Ende dieses Prozesses könnte die gleiche Wassermenge erneut CO2 aufnehmen, das somit der Atmosphäre entzogen und nicht mehr zur fortschreitenden Erderwärmung beitragen würde. Aktuell speichern die Ozeane nach seriösen wissenschaftlichen Schätzungen bis zu 30 Prozent des erzeugten Kohlendioxids. Die Frage ist, ob diese Schwammfunktion tatsächlich noch deutlich gesteigert werden kann.
Da es mittlerweile immer mehr wissenschaftlich fundierte Berechnungen gibt, dass die von einigen Ländern und Teilen der Wirtschaft deutlich ausgebremsten globalen Anstrengungen bislang nicht genügen, um das formal noch bestehende 1,5-Grad-Ziel bis zum Ende des Jahrhunderts zu erreichen, stoßen solche Aussichten auf größere technische »Beihilfe« verständlicherweise von vielen Seiten auf großes Interesse. Denn schon jetzt, wenn die Menschheit in den nächsten Jahrzehnten eher bei einem durchschnittlichen Temperaturanstieg um die Marke von zwei Grad landen dürfte, drohen beispielsweise im Südpazifik einige der heutigen kleinen Inselstaaten durch den in der Folge steigenden Meeresspiegel nahezu komplett zu verschwinden. Andere Gegenden dürften zumindest tendenziell unbewohnbar werden.
Ende Februar 2024 war Equatic in Los Angeles erstmals mit einer Erklärung zu den Plänen für die neue Anlage an die Öffentlichkeit getreten. Von einem »relevanten Umfang« und »wettbewerbsfähigen Preisschild« sprach der Chefberater des Unternehmens Lorenzo Corsini: »Wir sind auf dem Weg, einen nachbaubaren, leicht herzustellenden elektrochemischen Reaktor zu liefern – das schlagende Herz unserer CDR-Technologie –, der Kosten der CO2-Entfernung von unter 100 US-Dollar pro Tonne als Ziel noch vor dem Jahr 2030 sicherstellen wird.« Zu diesem Zeitpunkt hatte die Firma mit den im März 2023 gestarteten Pilotprojekten rund ein Jahr erste praktische Erfahrungen. Bei Equatic-1 handelt es sich laut Corsini um ein modulares System, das künftig gut um einzelne Elemente erweiterbar wäre.
Die Funktionsweise an sich erscheint denkbar einfach. Am Anfang steht die Elektrolyse – durch das Meerwasser wird Strom geleitet, zudem erfolgt die Einleitung von Luft. Auf diese Weise wird CO2 abgespalten, das dann wieder in verschiedenen mineralischen Verbindungen eingelagert wird, die auch ganz natürlich auf dem Meeresboden vorkommen, – »für die nächsten mehr als 100.000 Jahre«, wie die Entwickler des Verfahrens betonen. Am Ende des Prozesses entsteht auch eine gewisse Menge an »grünem« Wasserstoff, der im Zuge der Energiewende inzwischen äußerst begehrt ist. Der bei Equatic-1 erzeugte Wasserstoff soll in einem Kreislaufsystem zunächst primär die notwendige Energie zum Betrieb der Anlage liefern. Die Kapazität des Projektes in Singapur ist auf 109.000 Tonnen CO2-Entfernung jährlich ausgelegt, dabei entstehen rund 3.600 Tonnen Wasserstoff. Für überschüssigen Wasserstoff aus Folgeanlagen gebe es zur Abnahme schon Vorverträge zum Beispiel mit dem Flugzeugbauer Boeing, heißt es von Equatic.
Mit im Boot sitzen neben den beiden Hauptakteuren noch einige weitere Partner, wie das Nachrichtenportal Channel News Asia aus Singapur schon vor anderthalb Jahren berichtete. Im Stadtstaat ist das die National Research Foundation, die sich auch finanziell an der Investition von 20 Millionen US-Dollar beteiligt. In den USA ist das Institute for Carbon Management der University of California, Los Angeles (UCLA) eingebunden. Schließlich handelt es sich bei den Firmengründern von Equatic um ehemalige UCLA-Wissenschaftler.
Die Risiken der neuen Technologie stufen die Projektbeteiligten bisher als absolut vernachlässigbar ein, da man mit dem System an der Chemie der Ozeane nichts grundsätzlich ändern würde. Dennoch äußern Fachleute Bedenken. »CO2-Entfernung aus Meerwasser ist einfach zu riskant«, sagte Mary Church, Kampagnenmanagerin für Geoengineering beim Center for International Environmental Law (CIEL) mit Sitz in Genf, schon im Dezember gegenüber der BBC. Ihr Team befürchtetet Auswirkungen auf die bisher kaum erforschten, hochkomplexen Ökosysteme im Meer.
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