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Aus: Ausgabe vom 16.09.2025, Seite 8 / Ansichten

Matte Ohrfeige

Kommunalwahlen in NRW
Von Arnold Schölzel
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Jens Spahn spürt von den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen »Rückenwind« für die Koalition in Berlin herwehen. Bärbel Bas vermerkte: kein »Desaster«. So sehen heute politische Siege aus. Wer Krieg will und in keiner Krise etwas hinbekommt, ist froh, wenn alles bleibt, wie es ist: Die CDU erhielt fast ebenso viele Stimmanteile wie vor fünf Jahren, weswegen sie Friedrich Merz zur »Kommunalpartei Nr. 1« ernennt. Die SPD freut sich über nur ein blaues Auge. 1994 lag sie in NRW bei 42 Prozent, jetzt bei 22.

Der enorme Aufwand dafür ist vergessen. Noch nie gab es Kommunalwahlen, in die sich Bundespolitprominenz derart massiv einschaltete. Man ist nervös, weil nun schon Gemeinderatswähler vorm Wertewesten Reißaus nehmen könnten. Alles unsichere Kantonisten.

Stimmt. Auch wenn diesmal die unerwünschten Wahlergebnisse der AfD gemeint sind, nicht mehr die von Kommunisten. Die AfD setzt aber CDU und CSU mit deren politischen Mitteln fort – ergänzt um offenen Neonazismus. Die beiden Hauptparteien des Kapitals verfügen nach diesem Sonntag im Westen über eine relativ stabile Reserve. Sie werden von ihr Gebrauch machen, sobald sie grünes Licht erhalten. Prozentual wiederholte die AfD beinahe ihr Resultat bei den Bundestagswahlen im Februar, obwohl sie in einem Drittel der Stimmbezirke nicht antrat.

Sie wird zum Hauptproblem der SPD. Die kann ihre Aufgabe, Teile der Arbeiterklasse an Kriegs- und Krisenpolitik zu binden, selbst im Ruhrgebiet nur noch schlecht erfüllen. Der größte Ballungsraum Deutschlands und der EU ist immer noch ein Arbeiterzentrum, und zwar – wie seit mehr als 125 Jahren – ein internationales. Wenn dort seit Jahrzehnten öffentliche und individuelle Armut wachsen, ist das ein Ergebnis von Klassenkampf. Kommunen verarmen nicht einfach, sie werden systematisch ruiniert. Im Ruhrgebiet sind 290.000 Menschen erwerbslos, Gelsenkirchen hatte 2024 eine Arbeitslosenquote von 14,8 Prozent – die höchste bundesweit. Duisburg, Hagen, Herne und Dortmund folgen dicht dahinter. Bei Thyssen-Krupp in Duisburg stehen 11.000 Jobs auf dem Spiel. Dazu gehören zwangsläufig kaputte Straßen, Stadtviertel, Schulen und Krankenhäuser und null Finanzen für die sogenannte Integration von Migranten. Da greift dann auch Bas im Wahlkampf zu AfD-Parolen und macht »mafiöse Strukturen« bei Bürgergeldempfängern aus. Wenn nicht mal die Almosenausgabe klappt, liegt das an kriminellen Armen und armen Kriminellen.

Angesichts der Zustände und solcher Unverschämtheiten sind mehr als 14 Prozent für die AfD und deren Vordringen in Stichwahlen eine matte Ohrfeige. Das in großen Teilen klassisch zu nennende Proletariat in deutschen Großstädten nimmt an Wahlen kaum teil und soll das auch nicht. Die Verhältnisse sollen bleiben, wie sie sind, d. h. die Hetzer gewinnen an Boden. Bereitet haben den Kommunalpartei Nr. 1 und 2.

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