Bahn setzt den Rotstift an
Von Ralf Wurzbacher
Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) will am 22. September seine neue Bahn-Strategie namens »Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene« vorstellen. Die Deutsche Bahn (DB) müsse »pünktlicher, sauberer und sicherer« werden, klopfte er schon vor einem Monat seine Wunschliste ab. Was er zu erwähnen vergaß: Sie soll nicht mehr fahren, also viel weniger als bisher. Politiker, Gewerkschafter und Verbandsvertreter haben sich alarmiert angesichts interner Pläne des Staatskonzerns geäußert, eine Vielzahl an Verbindungen zu streichen und die Fahrpreise massiv zu erhöhen. Die Kunden hätten »kein Verständnis« für noch einmal teurere Fahrkarten und eine weitere Streckenausdünnung, monierte Luigi Pantisano von der Linksfraktion im Bundestag.
Am Freitag hatte der Berliner Tagesspiegel über ein an den scheidenden DB-Vorstandsvorsitzenden Richard Lutz adressiertes Konzeptpapier berichtet, das den Fahrplan 2026 beschreiben soll. Demnach steht insbesondere bei vornehmlich touristisch genutzten Linien ein heftiger Aderlass an: Die Direktverbindungen Berlin–Westerland (Sylt) und Hamburg–Berchtesgaden/Oberstdorf sollen komplett entfallen. Die Kapazitäten zum Bodensee und nach Garmisch sollen halbiert, die Strecke Stuttgart–Norddeich ebenso gestrichen werden wie die Verlängerung des ICE von Frankfurt nach Rostock. Damit würden Städte wie Tübingen oder Lübeck gänzlich vom Fernverkehr abgekoppelt. Hintergrund sind die roten Bilanzzahlen, die die ICE- und IC-Flotte seit Jahren einfährt. Im Vorjahr betrug der operative Verlust 96 Millionen Euro.
Der Tagesspiegel hat das 183seitige Dokument durch den Bahn-Experten Felix Berschin auswerten lassen. Demnach wolle die DB lukrative Rennstrecken und Geschäftskunden priorisieren und dafür beim Flächennetz und den einfachen Fahrgästen den Rotstift ansetzen. Zum Beispiel könnte Kiel seine Direktverbindungen nach Köln, München und Basel einbüßen. Opfern will man außerdem den »Prinz Eugen«, der seit Jahrzehnten Norddeutschland mit Wien verbindet, ferner die Linie 51 Erfurt–Gera für ein ganzes Jahr kaltstellen und bei der Linie 56 Hannover–Leipzig Züge in Tagesrandlage annullieren. »Dass man Komplexität rausnehmen muss«, lässt sich Berschin noch gefallen, aber ausgerechnet erfolgreiche touristische Züge aus dem Verkehr zu ziehen, könne man »nur noch als Kapitulation bezeichnen«.
Ob die Marschroute auch die des Verkehrsministers ist, wird sich in einer Woche zeigen. Am kommenden Montag will Schnieder nicht nur offenbaren, wie es mit der DB insgesamt weitergehen soll, sondern auch unter wessen Regie. Seit Mitte August ist Lutz nur noch geschäftsführend im Amt, wobei sich die Suche nach einem Nachfolger schwierig gestaltet. Dabei gehörte eigentlich das Gesamtsystem Bahn generalüberholt. Jüngst hatte der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert, vor einem bevorstehenden Ticketaufschlag von zehn Prozent gewarnt. Preistreibend wirken vor allem die eklatant gestiegenen Trassenpreise, die öffentliche und private Eisenbahnunternehmen entrichten müssen. In diesem Jahr belaufen sich die Mehrkosten im DB-Fernverkehr auf 95 Millionen Euro.
Die Schuld daran trifft an erster Stelle den Bund, der die Bahn zwecks Schuldensenkung gestreckt über mehrere Jahre mit mehr Eigenkapital ausstattet. Das allerdings erhöht die Zinslast des Konzerns und nötigt ihn, höhere Gewinne zu erwirtschaften. Deshalb erhöht die Netzsparte Infra-GO ständig die Schienenmaut, worauf die DB-Töchter im Fern-, Regional- und Güterverkehr mit der Anhebung der Preise reagieren – ein irrer Teufelskreis. Denn höhere Preise vergraulen immer mehr Kunden, was wiederum mit Preisauftrieb kompensiert wird und Abstrichen beim Angebot. Mit ihrem Vorgehen hätten Christian Lindner (FDP) als früherer und Lars Klingbeil (SPD) als aktueller Finanzminister der »Bahnbranche das Messer in den Rücken gerammt und es noch mal umgedreht«, befand Lukas Iffländer, Vizechef beim Fahrgastverband »Pro Bahn«, gegenüber dem Tagesspiegel. »Was tun?« fragte am Montag der Sprecher vom Bündnis »Bahn für alle«, Carl Waßmuth, im Gespräch mit junge Welt. »Macht die ganze Bahn gemeinnützig und gebt uns die Verkehrsangebote, die das Grundgesetz verspricht!«
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- Jens Schicke/IMAGO24.01.2024
Show für die Schiene
- Oliver Rast/jW15.03.2023
Zum Konflikt bereit
- Carsten Koall/dpa02.12.2021
Reine Augenwischerei
Regio:
Mehr aus: Inland
-
»Damit wird die Militarisierung vorangetrieben«
vom 16.09.2025 -
AfD reüssiert im Westen
vom 16.09.2025 -
»Ein richtig guter Mann«
vom 16.09.2025 -
Wirtschaft im Windschatten
vom 16.09.2025