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Aus: Ausgabe vom 10.09.2025, Seite 8 / Ansichten

Die Grenze abschaffen!

Entrüstung über Bas’ Ressortentwurf. Gastkommentar
Von Christoph Butterwegge
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Mit ihrer Ankündigung, die Beitragsbemessungsgrenze, bis zu der Sozialversicherte beitragspflichtig sind, von 8.050 Euro im Monat auf 8.450 Euro anzuheben, hat Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Boulevardmedien entdecken mal wieder ihr Herz für die hart arbeitende Bevölkerung, die angeblich mittels höherer Beitragszahlungen geschröpft werden soll. Dabei müssten nur Menschen, deren monatliches Bruttogehalt den genannten Betrag überschreitet, sowie deren »Arbeitgeber« für den Mehrverdienst in die Sozialkassen einzahlen.

Zu fragen bleibt: Warum endet die Solidarität überhaupt an jener Stelle, an der sie beginnt, Spaß zu machen? Wer ein so hohes Monatseinkommen hat, weiß genau, dass er und seine Familienangehörigen sozial abgesichert sind. Warum kann dieser Besserverdienende denn nicht dazu beitragen, dass auch eine Verkäuferin und ein Lagerarbeiter, die viel weniger verdienen, aber vielleicht mehr leisten als er, im Alter gleichfalls eine auskömmliche Rente erhalten?

Eine deutliche Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze wäre zumindest dann, wenn sie über die gesetzlich vorgeschriebene Anhebung aufgrund der im Vorjahr gestiegenen Löhne und Gehälter hinausginge, ein Schritt zur notwendigen Gleichbehandlung aller Sozialversicherten.

Eigentlich muss die Beitragsbemessungsgrenze jedoch nicht bloß erhöht, sondern ganz abgeschafft werden, denn sie schadet den Geringverdienenden und ist überdies im kollektiven Solidarsystem der Gesetzlichen Rentenversicherung systemwidrig. Finanziell begünstigt werden mit ihrer Hilfe ausgerechnet die Höchsteinkommensbezieher unter den Beschäftigten, die Unternehmer und die Aktionäre, was dem Sozialstaatsgebot im Grundgesetz widerspricht.

Noch weniger verständlich ist unter Gerechtigkeitsaspekten die Existenz der Krankenversicherungspflichtgrenze. Warum kann die Gesetzliche Krankenversicherung verlassen und zu einer privaten Kasse wechseln, wer mehr als 6.150 Euro im Monat verdient? Die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in eine gesetzliche Krankenkasse zu zwingen, ihnen ab einem hohen Bruttoeinkommen jedoch zu gestatten, in eine Privatversicherung auszuweichen, die nur junge und gesunde Mitglieder weniger kostet, ist ebensowenig zeitgemäß wie die Sonderstellung von Selbständigen, Freiberuflern, Beamten, Abgeordneten und Ministern, für die es berufsständische Versorgungswerke sowie das Beihilfe- und Pensionssystem gibt.

Sinnvoll wäre der Übergang zu einer solidarischen Bürger- oder Erwerbstätigenversicherung, die endlich Schluss machen würde mit der Benachteiligung einer Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung. Künftig sollten alle Berufs- und Bevölkerungsgruppen dieselbe Unterstützung des Sozialstaates erhalten, der gleichzeitig wieder ein festes Fundament erhielte.

Prof. Christoph Butterwegge hat bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und zuletzt die Bücher »Deutschland im Krisenmodus« und »Umverteilung des Reichtums« veröffentlicht

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