Draußen und doch nicht frei
Von Michael Koch
Ist Leonard Peltier weiterhin ein politischer Gefangener? Oder wie sieht es der Aktivist des American Indian Movement (AIM), einer Bewegung für die Rechte US-amerikanischer Indigener? Am 12. September, ein halbes Jahr nach seiner Entlassung in den 15jährigen Hausarrest, wird Peltier 81 Jahre alt. Der Geburtstag dürfte für den Aktivisten, der heute lieber vom »American Indigenous Movement« spricht, ein ganz besonderer Tag sein, schließlich ist es der erste Geburtstag seit einem halben Jahrzehnt außerhalb von Gefängnismauern. 1975, nach dem tödlichen Schusswechsel in der Pine Ridge Reservation, für den Peltier verantwortlich gemacht und zu zweimal lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, war der damals 31jährige an seinem Geburtstag auf der Flucht. In den folgenden 50 Jahren beging er diese Feierlichkeiten in Hochsicherheitsgefängnissen, wo er insgesamt 49 Jahre und 12 Tage verbrachte.
Nun feiert Peltier zu Hause in der Turtle Mountain Reservation North Dakotas. Und ja, er selbst sieht sich noch immer als politischen Gefangenen, sagte er im jW-Gespräch. Schließlich ist er weder begnadigt noch von den Schuldvorwürfen freigesprochen worden. Bei besagtem Schusswechsel sind ein junger AIM-Aktivist sowie zwei FBI-Beamte gestorben. Das FBI beschuldigte Peltier und startete eine der größten Polizeiaktionen der US-Geschichte, die am 6. Februar 1976 mit dessen Festnahme in Kanada endete. In einem durch zahlreiche Unregelmäßigkeiten, Manipulation von Zeugenaussagen, Unterschlagung von Entlastungsbeweisen und Einschüchterung von Geschworenen sowie Zeugen geprägten Verfahren wurde Peltier 1977 verurteilt.
Sein neues Zuhause sei seine neue Zelle, sagte Peltier. Gleichzeitig betonte er, dass dies millionenfach besser sei als die Zeit in der Haft. »Out but not free« – draußen aber nicht frei – lautet daher die aktuelle Solidaritätskampagne der deutschen Unterstützergruppe TOKATA-LPSG Rhein-Main. Dies träfe es recht gut, befand Peltier bei einem jW-Besuch bei ihm zu Hause. Doch fragt man ihn nach den Restriktionen seines Hausarrestes, der bis 2040 andauern soll, erfährt man auch viel über Peltiers neue Möglichkeiten. Er kann sein Zuhause, ein geräumiges und gut eingerichtetes Haus nahe Belcourt im US-Bundesstaat North Dakota, bis zu einem Umkreis von 160 Kilometern verlassen: für Arzt-, Klinik- oder Restaurantbesuche, zwecks Besorgungen oder zur Teilnahme an Versammlungen und Zeremonien. Auf Antrag bei der Gefängnisbehörde darf er auch weitere Strecken reisen. Zum Beispiel Anfang Juli, als er an einem Sonnentanz in der 900 Kilometer entfernten Pine Ridge Reservation teilnahm. Peltier hat zudem Zugang zu Telefon, Internet, E-Mails, der Post und Medien. Er nimmt an Onlinemeetings teil, gibt Interviews und empfängt Kamerateams für Podcasts. Vor allem kann er Besuch von Familie, Freunden und Unterstützern empfangen. Seinen Geburtstag wird er in diesem Kreis verbringen.
Auf die Frage, was er sich denn wünsche, antwortete der fast 81jährige: »Gesundheits- und Genesungswünsche kann ich aktuell gut gebrauchen.« Zwar sei seine Gefäßerkrankung nach neuesten Diagnosen nicht lebensbedrohlich. Die Hoffnung, dass sich seine Sehkraft nach Behandlungen verbessern würde, wurde enttäuscht. Die jahrelange Nichtbehandlung des Grauen Stars an beiden Augen hat zu einer 80prozentigen Erblindung geführt. Ähnlich geht es auch dem politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal, der noch immer in Haft ist. Einen Hoffnungsschimmer gibt es dennoch: eine Behandlung in der renommierten Mayo-Klinik. Ist sie erfolgreich, könnte Peltier doch noch seinen Traum erfüllen und wieder mit dem Malen beginnen. Hierfür wolle er mit Unterstützung seine Garage in ein Studio umbauen lassen, erzählte er. Außerdem lägen ihm die jungen Reservationsbewohner am Herzen. Für viele sei der Alltag durch Perspektivlosigkeit, Armut, Rassismus, Gewalt, Alkohol- und Drogenabhängigkeit gekennzeichnet. Hier wolle er an dem Aufbau von Selbstmordprävention für Teenager und Jugendmusikprojekten mitwirken. Ob er dabei Unterstützung aus Deutschland erhalten könne, so wie dies in der Pine Ridge Reservation seit vielen Jahren der Fall ist, fragte Peltier noch. Vonseiten der TOKATA-LPSG RheinMain ist ihm das sicher.
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