Fahne hochhalten
Von Volker Hermsdorf
Mit einer Mischung aus offiziellen staatlichen Gedenkveranstaltungen und Massenprotesten hat Chile in den vergangenen Tagen an die Opfer der faschistischen Diktatur unter General Augusto Pinochet erinnert. Am 11. September 1973 beendete das Militär – mit Unterstützung der Oligarchie, rechter Parteien und dem Rückhalt der USA – einen Prozess tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen, den der sozialistische Präsident Salvador Allende eingeleitet hatte. Während Staatschef Gabriel Boric in dem vor 52 Jahren bombardierten Präsidentenpalast La Moneda eine offizielle Gedenkfeier leitete, forderten Zehntausende Chilenen auf den Straßen, den Kampf gegen die Hinterlassenschaften der Pinochet-Diktatur unvermindert weiterzuführen. Am Sonntag hatten Carabineros bereits einen Gedenkmarsch in der Hauptstadt Santiago gewaltsam aufgelöst und rund 60 Personen festgenommen.
Der von Menschenrechtsgruppen und Angehörigen der Opfer und Verschwundenen organisierte Marsch führte durch das Stadtzentrum am Präsidentenpalast vorbei. Die Demonstranten forderten Gerechtigkeit und verlangten von den Behörden gründlichere Ermittlungen sowie die Bestrafung der Verantwortlichen für die Verbrechen gegen die Menschheit. Obwohl der Marsch friedlich verlaufen sei, hätten Einsatzkräfte Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt, berichtete Telesur. Laut Polizeiangaben sollen einige Demonstranten Brandsätze geworfen oder Messer mitgeführt haben. Auf der Schlusskundgebung warnte der Abgeordnete Boris Barrera von der Kommunistischen Partei Chiles vor geschichtsrevisionistischen Positionen und dem Erstarken der extremen Rechten. »Wir müssen die Fahnen der Wahrheit und Gerechtigkeit hochhalten, damit so etwas in Chile nie wieder geschieht – denn die faschistische Bedrohung ist ganz nah«, sagte er.
Am Abend vor dem offiziellen Gedenken lieferten sich die acht Anwärter auf das Präsidentenamt bei den Wahlen am 16. November am Mittwoch in einer TV-Debatte einen ersten Schlagabtausch. Im Mittelpunkt stand dabei eine Auseinandersetzung zwischen Jeannette Jara, Kandidatin der Regierungskoalition aus Mitte-Links-Parteien und Kommunisten, und dem ultrarechten José Antonio Kast von der Republikanischen Partei. Umfragen prophezeien eine Stichwahl zwischen beiden im Dezember. Die Beiträge von Kast offenbarten, wie tief der Faschismus noch immer in Chile verwurzelt ist. Der bekennende Bewunderer Pinochets hetzte gegen Migranten, forderte eine US-Intervention in Venezuela und prahlte mit seinem privaten Waffenbesitz.
Jara warf Kast indes vor, über ein Netzwerk von Internetbots diffamierende Falschmeldungen über sie und andere Bewerber zu verbreiten. Sie warnte vor einem Rückfall in neoliberale Modelle, stellte sich als eine Politikerin dar, die Brücken schlagen könne, und verwies auf Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum als Vorbild. Die Linke um Jara muss sich allerdings nicht nur gegen ultrarechte Mitbewerber behaupten, sondern sieht sich auch mit der Enttäuschung vieler Chilenen über die kompromisslerische Politik des Sozialdemokraten Boric konfrontiert.
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