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Aus: Ausgabe vom 12.09.2025, Seite 5 / Inland
S-Bahn Berlin

Schleichend ins Milliardenloch

Vergabe der Berliner S-Bahn verzögert sich auf unbestimmte Zeit. Unterlegener Bieter Alstom will sich Profite leistungslos sichern
Von Ralf Wurzbacher
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Die Hängepartie um die S-Bahn Berlin geht weiter, für wohl mehrere Jahre

Es kam, wie es kommen musste. Eigentlich sollte die Ausschreibung für Teile des Berliner S-Bahn-Netzes am Donnerstag nach etlichen Aufschüben ihr Ende finden. Der Sieger wäre verkündet worden und hätte in die konkreten Planungen einsteigen können. Nun ist klar: Die Hängepartie geht weiter, für wohl mehrere Jahre. Wie der Hauptstadtsenat am Mittwoch bekanntgab, hat der unterlegene Bieter, der französische Eisenbahnkonzern Alstom, zu Wochenbeginn einen Nachprüfungsantrag bei der dafür zuständigen Vergabekammer gestellt. Bis zu einer Entscheidung in der Sache, die wohl erst nach einem langwierigen juristischen Gefecht erfolgen wird, kann kein Zuschlag erteilt werden. Damit verzögert sich das Projekt nicht nur auf unabsehbare Zeit, sondern wird um vieles teurer.

Das Bündnis »Bahn für Alle« sieht seine Befürchtungen bestätigt. »Die Streitigkeiten werden Berlin weitere drei wertvolle Jahre kosten und vermutlich auch über eine Milliarde Euro an Rechtskosten und für Entschädigungszahlungen«, erklärte Sprecher Carl Waßmuth in einem Pressestatement. »Die sofortige Aufhebung der Ausschreibung ist der letzte mögliche Nothalt.« Der Appell an die Vernunft wird wohl verhallen, wie so oft in der Vergangenheit. Tatsächlich war Alstom schon einmal gegen das Ausschreibungsdesign bis vors Berliner Kammergericht gezogen, das die Klage im Frühjahr 2024 im wesentlichen wegen Fristverletzungen zurückwies. Allerdings beanstandeten die Richter damals erhebliche vergaberechtliche Mängel beim Prozedere und bestärkten so die Franzosen, es noch einmal zu versuchen.

»Bei einem 15-Milliarden-Auftrag der öffentlichen Hand muss sichergestellt sein, dass echter Wettbewerb stattfindet und sich dadurch das beste S-Bahn-Angebot zum besten Preis durchsetzt«, ließ das Unternehmen am Mittwoch verlauten. Dessen Hauptvorwurf ist, faktisch chancenlos gewesen zu sein. Anders als das schon Ende August inoffiziell, aber verfrüht zum Gewinner erklärte Konsortium aus Deutscher Bahn (DB), Stadler und Siemens hatte sich der Konkurrent nur auf die Lieferung und Instandhaltung der Fahrzeugflotte beworben, nicht aber für den Betrieb der fraglichen S-Bahn-Teilstrecken Nord-Süd und Stadtbahn. Da die DB in Gestalt ihrer Tochter S-Bahn Berlin GmbH ausgeschlossen hatte, mit anderen als den Stadler- und Siemens-Fahrzeugen zu verkehren, stand Alstom »ohne Lokführer« da.

Dabei war es ursprünglich der Wille der politisch Verantwortlichen, möglichst viele Anbieter im Sinne von »mehr Wettbewerb« zum Zug kommen zu lassen und die DB ganz aus dem Spiel zu nehmen. Wegen der später auch regierungsintern vorgebrachten Einwände, damit drohe die S-Bahn zerschlagen zu werden, ergänzte man die Optionen um die eines »Gesamtsiegers«. Der Durchmarsch der Bahn war damit quasi fix, woraufhin sich das Feld der Kandidaten lichtete und nur mehr Alstom als Herausforderer übrig blieb. Wobei sich dessen Interesse inzwischen darauf beschränken dürfte, vor Gericht Schadenersatz zu erwirken und sich die entgangenen Gewinne leistungslos erstatten zu lassen.

Als frühester Einsatztermin der neuen Wagengeneration wurde zuletzt das Jahr 2031 gehandelt. Nun könnte es mithin bis 2035 dauern. In genau dem Jahr laufen auch die Verträge zum Betrieb der Ringbahn und der südöstlichen Zulaufstrecken aus, die ebenfalls von der S-Bahn Berlin GmbH bedient werden. Dann könnte quasi nahtlos die nächste Ausschreibung ins Haus stehen und damit wieder neuer Ärger im Überfluss. Aber es gibt eine Alternative: Der Senat könnte den laufenden Prozess stoppen und Anstrengungen unternehmen, die S-Bahn in Landeseigentum zu überführen. So bekäme das Land »schneller und günstiger neue S-Bahnen als durch das Gerichtsverfahren – selbst wenn Berlin sich dort am Ende durchsetzt«, meint man bei »Bahn für Alle« und verweist auf ein juristisches Gutachten des Oldenburger Rechtsanwalts Benno Reinhardt, das diese Sichtweise bestätigt. Vor allem käme das Land so deutlich günstiger davon: Ursprünglich sollte das Projekt acht Milliarden Euro kosten, mittlerweile rechnet der Senat »über die gesamte Laufzeit mit 20 Milliarden Euro«.

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