Kräftiger schlagen
Von Kristian Stemmler
Schon vor Amtsantritt ist der neue Mann an der Spitze des Bundesnachrichtendienstes mit Lob überhäuft worden. Martin Jäger, der am Donnerstag als Nachfolger von Bruno Kahl sein Amt antrat, sei ein »Topdiplomat«, hieß es ziemlich unisono, »krisenerprobt« und »politikerfahren«. Tatsächlich weisen die bisherigen beruflichen Stationen den 61jährigen als Mann mit einer stromlinienförmigen Karriere aus, der die Interessen von Staat und Kapital an allen Fronten vertreten kann – ob als Sprecher von Ministern, als Lobbyist eines Konzerns oder als Botschafter im Irak, in Afghanistan und zuletzt in der Ukraine.
Jetzt soll Jäger den Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik mit seinen offiziell rund 6.500 Mitarbeitern im Zeichen der »Zeitenwende« »schlagkräftiger« machen. »Wir wollen, dass der BND nachrichtendienstlich auf dem allerhöchsten Niveau mitspielt«, erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz bei der Amtsübergabe in der BND-Zentrale in der Berliner Chausseestraße. Kahl, der den Dienst neun Jahre lang führte, traute die Regierung diese Aufgabe offenbar nicht zu. Er wird deutscher Botschafter im Vatikan – »auf eigenen Wunsch«, wie es hieß.
Merz übte sich bei der Feierstunde im üblich gewordenen Alarmismus. Selten in der Geschichte des Landes sei die sicherheitspolitische Lage so ernst gewesen wie heute. Deutschland habe »wieder Systemrivalen und Gegner – und sie gehen immer aggressiver vor«. Die Behörden wehrten »täglich hybride Angriffe gegen unsere Infrastruktur ab: Sabotageakte, Spionage, Desinformationskampagnen«. Dem BND komme da besondere Bedeutung zu.
Die Regierung werde bessere rechtliche Rahmenbedingungen für die Dienste schaffen, indem sie die »lange überfällige« Novelle zu den Rechten der Nachrichtendienste auf den Weg bringe. Jäger sei mit seiner »umfassenden außenpolitischen und diplomatischen Erfahrung« für sein neues Amt »bestens gerüstet«. Ähnlich hatte sich der für die Dienste zuständige Kanzleramtschef Thorsten Frei zuvor gegenüber dpa geäußert. Es bedürfe »einer weiteren Steigerung der operativen Fähigkeiten des BND«. Dessen Leistungsfähigkeit bemesse sich »zuerst an der Fähigkeit zur Gewinnung relevanter geheimer Informationen«.
Zuletzt hatten Politik und Medien immer wieder die »Leistungen« des Dienstes für nicht ausreichend befunden. 2021 etwa soll der BND die Geschwindigkeit des Taliban-Vormarschs in Afghanistan völlig falsch eingeschätzt haben. Im Februar 2022 soll Kahl vom russischen Einmarsch in die Ukraine während eines Besuchs in Kiew »überrascht« worden sein (was genau er zum fraglichen Zeitpunkt dort zu suchen hatte, fragte kaum jemand). Und unmittelbar vor den israelischen Attacken auf den Iran im Sommer soll der BND dem Kanzleramt mitgeteilt haben, mit einem Angriff sei vorerst nicht zu rechnen. Dass »Hinweise« auf angeblich geplante Anschläge meist von »Partnerdiensten« kommen, gefällt in Berlin ebenfalls vielen nicht.
Mit Jäger soll das anders werden. In der Bundespressekonferenz am vergangenen Freitag bezeichnete der stellvertretende Regierungssprecher Steffen Meyer ihn auf Nachfrage von jW als »exzellent geeignet, nicht nur durch seinen Karriereweg, sondern auch als Persönlichkeit«. Jäger bringe »langjährige berufliche Erfahrungen in Krisenländern« mit. Die Bundesregierung werde dem BND außerdem »finanziell, personell und rechtlich die Mittel an die Hand geben, um auf die aktuelle Bedrohungslage reagieren zu können«.
Nach Abitur und Wehrdienst hatte der in Ulm geborene Jäger den Beruf des Fotografen erlernt, dann als freier Journalist gearbeitet und in München unter anderem Politikwissenschaft studiert. Von 2005 bis 2008 war er Pressesprecher des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD), von 2014 bis 2016 Sprecher des damaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble (CDU). Dazwischen war Jäger von 2008 bis 2013 Cheflobbyist des Auto- und Rüstungskonzerns Daimler, danach von 2018 bis 2021 Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Die Bundestagsfraktion der Grünen forderte zum Wachwechsel beim BND Tempo bei der Neuaufstellung des Nachrichtendienstes. Nötig sei eine bessere Vernetzung der Sicherheitsbehörden auf Landes-, Bundes- und Europaebene. »Eine echte Sicherheitsoffensive der Bundesregierung gegen hybride Bedrohungen steht aus und bleibt überfällig«, erklärte Konstantin von Notz gegenüber dpa. Es sei erfreulich, dass der BND mit Jäger einen »erfahrenen und kompetenten« Präsidenten bekomme, so der Abgeordnete, der auch Vizechef des Geheimdienst-»Kontrollgremiums« des Bundestages ist.
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