Staatsnahe Militante des Tages: Einige Anarchist:innen
Von Nico Popp
Dem »militärisch-industriellen Komplex den Saft abdrehen« wollen viele. »Einige Anarchist:innen« vertreten einem aktuellen »Bekennerschreiben« zufolge die Meinung, dass dieses schöne Ziel nicht durch politische Arbeit und Organisierung, sondern durch eine vorübergehende Unterbrechung der Stromzufuhr zu erreichen ist. Die Verfasser dieses Textes nennen es ostentativ einen »Kollateralschaden«, dass das Abfackeln von zwei Strommasten in der Nacht zum Dienstag die Stromversorgung von 50.000 Haushalten, Kindergärten, Schulen und Altenheimen im Südosten Berlins zum Teil für Tage beendet hat.
Die apologetische Verwendung dieses im linken Sprachgebrauch vollkommen unüblichen Begriffs fällt im Wust der krausen Gedanken zunächst nicht weiter auf, muss aber interessieren. Es häufen sich nämlich Angriffe auf die Nahverkehrs- und Energieinfrastruktur, die sich im Resultat sehr präzise gegen die Masse der Bevölkerung richten – also eine direkte Absage an ein Grundprinzip linker Militanz von einst darstellen. Sie leisten aber gerade dadurch zweierlei: Sie diskreditieren linke Kritik und helfen dem Staat, die politisch wichtige Erzählung einer »terroristischen Gefahr« von links zu beglaubigen.
Das kann selbstredend die Nebenwirkung eines authentischen Verfalls des politischen Niveaus sein. Allerdings ist man wie immer gut beraten, die Frage zu stellen, ob die vermeintliche Nebenwirkung nicht eigentlich der Zweck der Übung ist. Fakt ist jedenfalls, dass es keinerlei linke Debatte gibt, die diese Aktionen argumentativ stützt – im Gegenteil, die Ablehnung ist einhellig. Und es fällt auf, dass diese Leute zwar Schwierigkeiten haben, in den jeweils fälligen Bekennerschreiben eine linke Sprache zu finden, aber absolute Profis darin zu sein scheinen, sich dem behördlichen Zugriff zu entziehen. S-Bahn-Peters Erben reisen, das zumindest ist sicher, nicht mit der S- Bahn an.
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