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Aus: Ausgabe vom 11.09.2025, Seite 8 / Ansichten

Dialektik der Drohne

Polen und die Bündniskonsultation
Von Reinhard Lauterbach
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Bergung von Drohnentrümmern beim Dorf Mniszków in Zentralpolen am Mittwoch

Es ist die Dialektik jeder militärischen Innovation, dass sie ein Problem löst, aber ein anderes schafft. Denn ihr Zweck ist die Zerstörung, unabhängig von den technischen Mitteln. Die Drohne als militärische Neuentwicklung illustriert das vorzüglich: Sie ist oft billiger herzustellen als eine Rakete; wenn sie abgeschossen wird, ist deshalb der Verlust geringer; und da sie nicht auf ballistischen Flugbahnen unterwegs ist, sondern von irgendeinem Menschen oder künstlicher Intelligenz gesteuert wird, ist ihr Weg praktisch nicht zu berechnen.

Das rächt sich, wenn so eine Drohne abgeschossen wird: Dann gelten plötzlich die Gesetze der Schwerkraft, und sie fällt, wo sie halt fällt. Auch auf zivile Wohnhäuser, die ursprünglich nicht Ziel waren. Noch fataler, wenn die Steuerung durch elektronische Kampfführung gestört wird und das Ding noch eine Weile weiterfliegt, bis, womöglich, die Luft kein gelb-blaues nationales Preisschild mehr trägt, sondern ein weiß-rotes. Dann gibt es einen internationalen Skandal.

Ist es »russische Absicht«, dass die Drohnen den polnischen Luftraum erreichten, wie die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas messerscharf deduziert? Nicht zwangsläufig. Es gibt in der Juristerei auch die Kategorie des bedingten Vorsatzes: eine Folge, die man billigend in Kauf nimmt. Ein Mensch, der ein altes, stinkendes Auto fährt, hat in der Regel nicht die Absicht, seine Mitmenschen zu vergiften; trotzdem tritt diese Folge der schwärzlichen Abgase ein. Ähnlich ist es mit den »Drohnenvorfällen«. Hier tritt die Ersatzkategorie des »Austestens« in ihr Recht: Moskau habe mit Vorfällen, die für sich genommen keinen größeren Schaden anrichten, nur halt im »fremden Luftraum« stattfinden, nicht irgendwelche Krater in polnische Wiesen reißen, sondern testen wollen, wie die Drohnenabwehr der NATO funktioniere.

Stellt sich die Frage, welches Interesse Russland an der unausweichlichen Eskalation der Spannungen haben sollte, die solche Vorfälle nach sich ziehen. Oder gar Belarus, das Polen besonders ins Visier genommen hat, nachdem 2020 der aus Warschau gesteuerte Regimewechsel dort nicht geklappt hat. Es bleibt ein Dritter im Bunde, dem die jetzige Eskalation bestens ins Konzept passt, weil er sie sowieso anstrebt: die Ukraine. Solange auf polnischer Seite im wesentlichen auf »kyrillische Zeichen« an aufgelesenen Drohnentrümmern verwiesen wird, ist diese Variante zumindest nicht ausgeschlossen und nach den Statements aus Kiew, jetzt müsse ein einheitlicher Luftverteidigungsraum der NATO und der Ukraine geschaffen werden, sogar ziemlich wahrscheinlich. Zumal Donald Tusk gleich am Mittwoch morgen die Bevölkerung angewiesen hat, »nur eigenen offiziellen Informationen Glauben zu schenken«. Ein Indiz, dass uns Lügen bevorstehen, die die Balken biegen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in H.-J. R. aus Berlin (11. September 2025 um 01:10 Uhr)
    Danke für die klarstellenden Worte an Reinhard Lauterbach! In dem Artikel wird bestätigt, was ich auch anderweitig zu lesen fand. NATO-Generalsekretär Rutte gab übrigens zu erkennen, dass bislang keine Beweise vorliegen. In den Drohnen wurden zudem keine Sprengstoffe gefunden. Die »Dialektik der Drohne« beweist, wie Im Artikel aufgeklärt, die Dialektik der Eskalationsabsicht, unterstrichen mit folgender Nachricht: »Offenbar handelte es sich um die Drohne «Gerbera» oder ähnliche Geräte, die vom russischen Militär bei Gruppenschlägen als Falschziele eingesetzt werden. Da sie auch elektronisch einfacher ausgestattet sind, könnten sie leichter durch ukrainische Störsender vom Kurs abgebracht worden sein. Über diese Version der Ereignisse hat am Mittwochvormittag der weißrussische Generalstab berichtet. Der Behörde in Minsk zufolge hätten die Fluggeräte, die die polnische Grenze in der Nacht überquert hatten, im polnischen Luftraum ihre Flugbahn «verloren». Darüber habe die Behörde das polnische Militär unterrichtet, was die polnische Seite später bestätigte.« Bestätigte!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (10. September 2025 um 21:57 Uhr)
    Ich erinnere nochmals daran – und auch der langjährige Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko hatte es schon im Jahre 2022 bestätigt –, dass mitten in Wohngebieten aller Städte, aber auch auf dem Land in Wohnhäusern, Stallungen, Scheunen und Silos usw. Luftverteidigungsanlagen stationiert sind. Aber warum? Im Zweiten Weltkrieg (ab 1942) befand sich mitten in Prenzlauer Berg auf der Wiese, die wir Wasserturmhügel nennen, eine Flak-Station. Dem kranken Suffke Winston Churchill ist zu verdanken, dass »diese Menschen« bei und um Adolf Hitler auszuradieren sind. Verkündete er. Was nicht nur ein Drittel von Wien einschließlich realer Menschen betraf, sondern als Stellungsziel galt. Was bis heute noch gut zu erkennen bleibt. – Im Inneren des Wasserturmhügels, also unter den Flakkanonen, waren die Luftschutzräume für die zehntausenden Nachbarn rund um den Kollwitzplatz. – Dieser Churchill, dieser kranke Massenmörder, wird heute noch verehrt.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (10. September 2025 um 20:47 Uhr)
    Völkerrechtlich ist es eine Verletzung der polnischen Lufthoheit und soll zu Recht kritisiert werden. »Kritisiert«? Nein, da bricht gleich eine Hysterie aus, selbst in den »linksliberalen« Medien. Zum Vergleich: Israel bombt in Qatar und Tunesien (die Friedensflotille): Lippenbekenntnisse und ein paar harmlose Statements. Schlimmer noch, die USA wurde vorab informiert und hat dem hinterhältigen Angriff zugestimmt. Konsequenz für Israel: keine.

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