»Der UN-Sozialpakt regelt das verbindlich«
Interview: Gitta Düperthal
Allein in Berlin lebten laut der Senatsverwaltung 55.556 wohnungslose Menschen. Das sind Zahlen von 2024. Sie mahnen zum Tag der Wohnungslosen an diesem Donnerstag: Das völkerrechtlich verbindliche soziale Menschenrecht auf Wohnen muss umgesetzt werden. Wie ist das politisch durchsetzbar?
Die CDU/SPD-Bundesregierung muss das soziale Menschenrecht auf angemessenen und bezahlbaren Wohnraum für alle in der BRD insgesamt durchsetzen; für Berlin macht es der dortige CDU/SPD-Senat. Es ist zudem Aufgabe des seit 2001 vom Bundestag eingerichteten und finanzierten Deutschen Instituts für Menschenrechte. Dieses Forum für den Austausch zwischen Staat und Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Praxis, nationalen und internationalen Organisationen und Institutionen, beobachtet die Menschenrechtslage in Deutschland.
Politische und soziale Gruppen der Zivilgesellschaft haben den jährlich am 11. September begangenen Tag ins Leben gerufen. Wir sowie andere Nichtregierungsorganisationen und Initiativen nutzen ihn, um ins öffentliche Bewusstsein zu bringen, was Wohnungslosigkeit für die Betroffenen bedeutet. An diesem Donnerstag führen wir in Berlin ein Pressegespräch im Haus für Demokratie und Menschenrechte, planen eine Aktion auf dem Alexanderplatz und abends eine Veranstaltung im Verein Helle Panke unter dem Titel »Verpasste Chance für eine transformative Wohnungspolitik?«. Ziel ist, den Druck auf die politischen Parteien zu erhöhen.
Welchen Beitrag leistet die Eberhard-Schultz-Stiftung?
Zusammen mit Betroffenen und ihren Organisationen kommentieren und kritisieren wir die Staatenberichte der Bundesregierung an den UN-Sozialausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Das ist dringend notwendig, denn der UN-Sozialpakt von 1966 regelt das Recht auf eine Wohnung in Artikel 11 völkerrechtlich verbindlich. Vor acht Jahren mahnte der UN-Sozialausschuss die Bundesregierung ab und ordnete an, Maßnahmen zu ergreifen, um das »Recht auf einen angemessenen Lebensstandard« umzusetzen. Die Vorsitzende des Kuratoriums unserer Stiftung, Rita Süssmuth, und dessen Mitglied Andrej Holm, setzen sich dafür ein.
Was können Sie politisch bewegen?
Die Sprecherin für soziale Menschenrechte der Bundestagsfraktion Die Linke, Azize Tank, brachte 2017 einen Gesetzentwurf zur Aufnahme sozialer Grundrechte der UN ins Grundgesetz ein. Die anderen Fraktionen lehnten ihn ab. 2021 unterstützten wir den Volksentscheid von »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«, für den 59,1 Prozent der Berliner Bevölkerung stimmten – darunter viele, die selbst gar nicht wohnungslos sind.
Der Berliner Senat setzte dies nicht politisch um. Wie geht es mit der Kampagne weiter?
Das »Mietenwahnsinn«-Bündnis arbeitet daran. Selbst wenn sogenannte Leitmedien kaum darüber berichten, da sie hauptsächlich von Konzernen mitfinanziert sind und kein Interesse haben, das Thema Wohnen sozialpolitisch zu fokussieren: Verbreitet wird es über linke Medien. Die UN-Rechte auf Wohnung von 1966 haben völkerrechtlich die gleiche Wertigkeit wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit.
Wer steht dafür politisch in der Verantwortung, dass in Berlin Konzerne und Immobilienspekulanten die Gentrifizierung weiter vorantreiben und die Wohnungsnot spürbar zunimmt?
Einerseits muss der Senat handeln. Die Bundesregierung aber ist verpflichtet, das Völkerrecht umzusetzen, kann sich da nicht herausreden. Weil unser Druck bis jetzt noch nicht groß genug ist, um eine Vergesellschaftung der Wohnungen voranzutreiben, engagieren wir uns am Tag der Wohnungslosen. Wir arbeiten daran, dass die zentralen Menschenrechte von 1966 auch in Deutschland endlich umgesetzt werden. Darauf drängten übrigens einstmals in den Vereinten Nationen hauptsächlich sozialistische Länder, wie etwa die Sowjetunion und die DDR.
Eberhard Schultz ist Rechtsanwalt und im Vorstand der Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation sowie der Internationalen Liga für Menschenrechte
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (12. September 2025 um 11:57 Uhr)Der UN-Sozialpakt regelt zwar verbindlich das Recht auf Wohnen. Papier ist aber bekanntlich geduldig, besonders auch im Wertewesten. In Artikel 1 des Paktes wird das Recht der Völker auf Selbstbestimmung betont, das der Westen bekanntlich den russischen Ostukrainern oder den Palästinensern faktisch vorenthalten will. In Artikel 6 wird das Recht auf Arbeit und die Berufsfreiheit formuliert. Bei millionenfacher Arbeitslosigkeit und den durch EU-Sanktionen faktisch ausgesprochen Berufsverboten für kritische Journalisten kann man dieses Recht wohl kaum als verwirklicht ansehen. Die EU-Sanktionen gegen Journalisten verletzen neben dem UN-Sozialpakt faktisch auch die in der Präambel des Paktes eingebundene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, speziell u.a. deren Artikel 19 (Meinungs- und Informationsfreiheit), Artikel 17 (Eigentumsrechte) und die Artikel 8 und 10 (Anspruch auf Rechtsschutz). In Artikel 11 des UN-Sozialpakts nun also das Recht auf Wohnen. Es ist eine Schande, wie in unserem Land mit Obdachlosen umgesprungen wird. In der Zeitung liest man regelmäßig von Übergriffen, einem Obdachlosen ist zum Beispiel mehrfach sein Zelt angezündet worden, für manche Chaoten scheinen Obdachlose so eine Art Freiwild zu sein, an denen man seine Aggressionen auslassen und Bestätigung seiner Ich-bin-was-besseres-Gefühle suchen kann. Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegen diese Ärmsten der Armen ist beschämend. Und was von behördlicher Seite an Unterbringungsmöglichkeiten geboten wird, ist schikanös, etwa Tagesaufenthalt an anderem Ort als Nachtaufenthalt. Der UN-Sozialpakt fordert jeden einzelnen auf, »für die Förderung und Achtung der in diesem Pakt anerkannten Rechte einzutreten«. Vielen dank an jW, dass Ihr das macht und dabei auch den staatlichen Verlogenheitsaposteln trotzt!
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