Gegründet 1947 Sa. / So., 25. / 26. Oktober 2025, Nr. 248
Die junge Welt wird von 3054 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 11.09.2025, Seite 5 / Inland
Arbeitskampf

Das Entgelt ist nicht alles

Verdi kündigt den Manteltarifvertrag mit dem Berliner Verkehrsbetrieben zum Jahresende. Warnstreiks möglich. Vielfältige Probleme bei Arbeitsbedingungen
Von Luca von Ludwig
imago798013092.jpg
Den Berliner Nahverkehr am Laufen zu halten, verlangt den Beschäftigten allzu oft das Äußerste ab

Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) könnten bald Streiks anstehen. Zumindest, wenn sich nicht vor Jahresende auf eine neue Vereinbarung zu den Arbeitsbedingungen geeinigt wird. Die Gewerkschaft Verdi wird den seit April 2024 geltenden Manteltarifvertrag mit dem Konzern kündigen, wie am Dienstag bekannt wurde. Das entsprechende Schreiben solle das Unternehmen fristgerecht bis Monatsende erhalten. Der Vertrag bestimmt die Arbeitsbedingungen – beispielsweise Arbeits-, Wende- und Schichtzeiten, Pausen- und Urlaubsregelungen, oder auch den Kündigungsschutz – für die rund 16.500 Beschäftigten. Die BVG betreibt in Berlin die Straßen- und U-Bahnen sowie rund 200 Buslinien.

Ab 18. September will die Gewerkschaft ihre Mitglieder befragen, um Rahmenpunkte für die kommenden Verhandlungen zu setzen. Grundsätzlich seien alle Themen möglich, sagte Serat Canyurt, der für Verdi die Verhandlungen führen wird, am Mittwoch gegenüber jW. Bevor man sich zu konkreten Forderungen äußere, wolle man auf das Ergebnis der Befragung warten. Bei den Manteltarifverhandlungen gehe es in jedem Fall nicht ums Entgelt, sondern um die grundsätzlichen Arbeitsbedingungen.

Das mache auch eine Einschätzung zum möglichen Verhandlungsverlauf schwieriger. Während die Entlohnung sozusagen nur ein Thema sei, gehe es beim Manteltarif um weniger genau bezifferbare Anliegen. Klar sei aber, dass ein Streik keine Notwendigkeit ist: »Wenn es bei der BVG Bewegung auf uns zu geben wird, muss es natürlich nicht dazu kommen«, so der Gewerkschafter weiter. Die BVG wollte sich auf jW-Anfrage nicht dazu äußern.

Im Frühjahr hatte Verdi die Mitglieder bei der BVG mehrfach zu Warnstreiks aufgerufen. Grund waren die festgefahrenen Verhandlungen zum Entgelttarifvertrag. 65 Prozent von ihnen stimmten nach einer Befragung für die Annahme des Schlichterspruchs, der neben einer Einmalzahlung von 1.500 Euro auch Lohnerhöhungen und eine Steigerung der Schichtzulagen vorsieht. Die aktiven Beschäftigten konnten in der Tarifrunde zwar nicht ihr bestes Ergebnis, aber doch eine stärkere Verankerung in der Belegschaft erzielen. Das kann nun die Grundlage bilden, um bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen.

Denn diese kamen schon zur Tarifrunde am Jahresbeginn zur Sprache. Fahrer beklagten sich beispielsweise über den Arbeitszeitplan, der ganze sieben Sechstagewochen am Stück vorsieht. Die Wendezeiten, also die geplanten Halte an den jeweiligen Linienendpunkten, wurden zwar auf sechs Minuten erhöht – doch das sei im Berliner Verkehr regelmäßig viel zuwenig, weil die eigentlich als Pause vorgesehene Zeit von Verspätungen völlig aufgefressen werde. Auch die geteilten Schichten wurden als besonders belastend empfunden. Denn dabei muss die Arbeitszeit über zwei kürzere Schichten (nicht unbedingt mit gleichen Start- und Endpunkten) an Vor- und Nachmittag abgeleistet werden.

Es kriselt an verschiedenen Stellen im Unternehmen. Medienberichten zufolge hatte die ÖPNV-Flotte vor der Anschaffung neuer Fahrzeuge zu Monatsbeginn einen dauerhaften Reparaturstand von 20 Prozent. Im Jahr 2024 war mehr als jede achte Tram, bei der Linie M8 gar mehr als jede fünfte, verspätet. Ähnlich sah es bei Bussen und U-Bahnen aus. Dabei wird eine Fahrt überhaupt erst ab einer Verzögerung von dreieinhalb Minuten als »zu spät« gewertet. Und dann werden auch noch rote Geschäftszahlen geschrieben.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Von drei Uhr am Montagmorgen bis drei Uhr am Folgetag soll die B...
    27.01.2025

    Mit der Geduld am Ende

    Beschäftigte der Berliner Verkehrsbetriebe protestieren mit 24stündigem Warnstreik gegen »Verzögerungstaktiken« des Vorstands
  • Maßnahmen, den Streikbruch bei der BVG zu unterbinden. Hindernis...
    29.10.2022

    Zement in die Weiche

    Futter für die antikommunistische Legendenbildung: Vor 90 Jahren streikten in Berlin die BVG-Arbeiter gegen Lohnabbau und Notverordnungsregime
  • Zehn Tage streikten Bus-, U-Bahn- und Tramfahrer im Frühjahr 200...
    09.02.2010

    Gewerkschaften uneins

    Berlin: GDL und GkL rufen zum Warnstreik bei den Verkehrsbetrieben auf. Ver.di distanziert sich

Regio: