Das Entgelt ist nicht alles
Von Luca von Ludwig
Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) könnten bald Streiks anstehen. Zumindest, wenn sich nicht vor Jahresende auf eine neue Vereinbarung zu den Arbeitsbedingungen geeinigt wird. Die Gewerkschaft Verdi wird den seit April 2024 geltenden Manteltarifvertrag mit dem Konzern kündigen, wie am Dienstag bekannt wurde. Das entsprechende Schreiben solle das Unternehmen fristgerecht bis Monatsende erhalten. Der Vertrag bestimmt die Arbeitsbedingungen – beispielsweise Arbeits-, Wende- und Schichtzeiten, Pausen- und Urlaubsregelungen, oder auch den Kündigungsschutz – für die rund 16.500 Beschäftigten. Die BVG betreibt in Berlin die Straßen- und U-Bahnen sowie rund 200 Buslinien.
Ab 18. September will die Gewerkschaft ihre Mitglieder befragen, um Rahmenpunkte für die kommenden Verhandlungen zu setzen. Grundsätzlich seien alle Themen möglich, sagte Serat Canyurt, der für Verdi die Verhandlungen führen wird, am Mittwoch gegenüber jW. Bevor man sich zu konkreten Forderungen äußere, wolle man auf das Ergebnis der Befragung warten. Bei den Manteltarifverhandlungen gehe es in jedem Fall nicht ums Entgelt, sondern um die grundsätzlichen Arbeitsbedingungen.
Das mache auch eine Einschätzung zum möglichen Verhandlungsverlauf schwieriger. Während die Entlohnung sozusagen nur ein Thema sei, gehe es beim Manteltarif um weniger genau bezifferbare Anliegen. Klar sei aber, dass ein Streik keine Notwendigkeit ist: »Wenn es bei der BVG Bewegung auf uns zu geben wird, muss es natürlich nicht dazu kommen«, so der Gewerkschafter weiter. Die BVG wollte sich auf jW-Anfrage nicht dazu äußern.
■ Im Frühjahr hatte Verdi die Mitglieder bei der BVG mehrfach zu Warnstreiks aufgerufen. Grund waren die festgefahrenen Verhandlungen zum Entgelttarifvertrag. 65 Prozent von ihnen stimmten nach einer Befragung für die Annahme des Schlichterspruchs, der neben einer Einmalzahlung von 1.500 Euro auch Lohnerhöhungen und eine Steigerung der Schichtzulagen vorsieht. Die aktiven Beschäftigten konnten in der Tarifrunde zwar nicht ihr bestes Ergebnis, aber doch eine stärkere Verankerung in der Belegschaft erzielen. Das kann nun die Grundlage bilden, um bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen.
Denn diese kamen schon zur Tarifrunde am Jahresbeginn zur Sprache. Fahrer beklagten sich beispielsweise über den Arbeitszeitplan, der ganze sieben Sechstagewochen am Stück vorsieht. Die Wendezeiten, also die geplanten Halte an den jeweiligen Linienendpunkten, wurden zwar auf sechs Minuten erhöht – doch das sei im Berliner Verkehr regelmäßig viel zuwenig, weil die eigentlich als Pause vorgesehene Zeit von Verspätungen völlig aufgefressen werde. Auch die geteilten Schichten wurden als besonders belastend empfunden. Denn dabei muss die Arbeitszeit über zwei kürzere Schichten (nicht unbedingt mit gleichen Start- und Endpunkten) an Vor- und Nachmittag abgeleistet werden.
Es kriselt an verschiedenen Stellen im Unternehmen. Medienberichten zufolge hatte die ÖPNV-Flotte vor der Anschaffung neuer Fahrzeuge zu Monatsbeginn einen dauerhaften Reparaturstand von 20 Prozent. Im Jahr 2024 war mehr als jede achte Tram, bei der Linie M8 gar mehr als jede fünfte, verspätet. Ähnlich sah es bei Bussen und U-Bahnen aus. Dabei wird eine Fahrt überhaupt erst ab einer Verzögerung von dreieinhalb Minuten als »zu spät« gewertet. Und dann werden auch noch rote Geschäftszahlen geschrieben.
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