Chemie stimmt nicht mehr
Von Ralf Wurzbacher
Die Talfahrt der Chemieindustrie reißt ein prominentes Opfer mehr Richtung Abgrund. Binnen weniger Tage haben sowohl das Venator-Werk in Krefeld als auch das in Duisburg Konkurs angemeldet. Auslöser ist die Pleite der Holding in Großbritannien, die auf einen Schlag etliche ihrer Gesellschaften für zahlungsunfähig erklärt hat. An den beiden deutschen Produktionsstätten müssen insgesamt rund 700 Beschäftigte um ihren Job bangen. »Ursache der wirtschaftlichen Krise sind vor allem die seit dem Ukraine-Krieg massiv gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten«, zitierte die Rheinische Post (RP) vom Dienstag Rechtsanwältin Sarah Wolf. Sie wurde als vorläufige Insolvenzverwalterin für den Standort in Duisburg bestellt.
Venator Germany, ehemals Sachtleben Chemie GmbH, blickt auf eine fast 150jährige Firmengeschichte zurück. Das Unternehmen stellt Partikel auf der chemischen Basis von Titandioxid, Zinksulfid sowie Bariumsulfat her und vertreibt diese weltweit. Die Filiale in Krefeld im Chempark Uerdingen hatte schon vor einer Woche die geordnete Abwicklung beantragt, die in Duisburg-Homberg vollzog den Schritt am vergangenen Freitag. Viele der 344 Werktätigen erreichte die schlechte Nachricht erst am Montag zu Schichtbeginn. In einer E-Mail verweist die Geschäftsführung auf die Notlage der britischen Konzernmutter, der Venator Materials mit Sitz in Wynyard im Nordosten Englands. Man verfüge damit »nicht mehr über genügend liquide Mittel, um unseren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen«. Gegenüber dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) äußerten sich Betroffene »geschockt« und »fassungslos« angesichts der Entwicklung. »Wir haben uns alle lang gemacht, um den Laden in ganz zu halten, und dann so was«, beschied ein Beschäftigter.
Tatsächlich waren 2024 in Duisburg bereits 290 Stellen im Rahmen einer sogenannten Restrukturierung gestrichen worden. Dabei wurde die Titandioxidproduktion nach Krefeld verlagert, dorthin, wo nun ebenfalls das Aus droht. Hier fürchten 410 Mitarbeiter um ihre Zukunft, das Werk steht nach 2009 bereits das zweite Mal auf der Kippe. »Unser Ziel ist es, den Geschäftsbetrieb in Duisburg zu stabilisieren und eine tragfähige Lösung für die Zukunft zu entwickeln«, erklärte Konkursverwalterin Wolf. Die Löhne und Gehälter der Beschäftigten seien über das Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit gesichert. Nach Auskunft des Betriebsratsvorsitzenden Uwe Sova ist das Werk das einzige im Konzernverbund, das schwarze Zahlen schreibe. Um attraktiv für mögliche Käufer zu bleiben, sollten die Kollegen »sicher, motiviert und fokussiert« weiterarbeiten, sagte er dem WDR. »Wenn wir jetzt den Kopf in den Sand stecken, dann haben wir verloren.«
Den allgemeinen Niedergang der Branche spiegelt die jüngste Quartalsbilanz. Nach Angaben des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) aus der Vorwoche waren die Anlagen von April bis Ende Juni nur zu 71 Prozent ausgelastet gewesen. So schwach sei zuletzt 1991 produziert worden. Aufgrund der US-Zölle sei die Verunsicherung an den Märkten weiterhin hoch. Anfang August war das Auftragspolster so niedrig wie zuletzt 2009, ergab der aktuelle Ifo-Geschäftsklimaindex des Instituts für Wirtschaftsforschung. »Die vorübergehende Hoffnung der Chemie auf eine konjunkturelle Erholung ist verflogen«, befand Ifo-Expertin Anna Wolf. Die Gewerkschaft IG BCE warnte jüngst, bundesweit spielten 260 Unternehmen mit dem Gedanken, ihre Belegschaft einzudampfen. Bis zu 40.000 Jobs stünden demnach auf dem Spiel.
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Inland
-
»Dass eine Tafel aufgibt, will ich nicht erleben«
vom 11.09.2025 -
Pflicht zur Strafverfolgung
vom 11.09.2025 -
Ulmer Fünf in U-Haft
vom 11.09.2025 -
Das Entgelt ist nicht alles
vom 11.09.2025 -
»Der UN-Sozialpakt regelt das verbindlich«
vom 11.09.2025