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Aus: Ausgabe vom 11.09.2025, Seite 2 / Inland
Armenspeisung

»Dass eine Tafel aufgibt, will ich nicht erleben«

Armenspeisung in Bremerhaven vor dem Aus. Verband setzt auf Wechsel zu Ehrenamtlichen. Bis zu 100 werden gesucht. Ein Gespräch mit Uwe Lampe
Interview: Kristian Stemmler
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Eine Helferin der Bremerhavener Tafel bereitet Obst und Gemüse zur Verteilung vor (9.11.2017)

Ausgerechnet eine der ärmsten deutschen Kommunen könnte eine wichtige Hilfseinrichtung verlieren. Die Bremerhavener Tafel steht vor dem Aus. Wie die fünf zuständigen Wohlfahrtsverbände kürzlich erklärt haben, könnte zum Jahresende Schluss sein. Wie ist es dazu gekommen?

Wir haben es hier mit einem ganzen Bündel von Ursachen zu tun. So sind zum Beispiel die Kosten für Strom und Müllentsorgung gestiegen, es gab Probleme, Hygienevorschriften umzusetzen. Ein weiterer Grund ist, dass der Bund die Fördermittel für sogenannte Arbeitsgelegenheiten, also das, was früher die »Ein-Euro-Jobs« waren, gekürzt hat. Dadurch fällt ein Großteil des Personals weg. Die Bremerhavener Tafel arbeitet fast ausschließlich mit Helfern, die selbst armutsgefährdet sind, was es sonst in Niedersachsen und Bremen nicht gibt. Normalerweise arbeiten die Tafeln mit Ehrenamtlichen.

Warum ist das so?

Die Kunden der Tafeln zahlen für die Lebensmittel nur wenig, zwischen ein und höchstens drei Euro. Dieses Geld deckt gerade so die Betriebskosten, für Personal bleibt in der Regel nichts übrig. Und deshalb arbeiten die Tafeln in Niedersachsen zu 95 Prozent mit Ehrenamtlichen.

Sind im Vorfeld Fehler gemacht worden?

Ich sehe da eher eine Verkettung von unglücklichen Umständen. Die beteiligten Wohlfahrtsverbände – das sind die Diakonie, die Caritas, das Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt und der Paritätische Wohlfahrtsverband – versammeln sicher viel Expertise, sind aber, was den Betrieb von Tafeln angeht, in den Details nicht so zu Hause. Doch jetzt geht es nicht darum, nach Fehlern zu suchen, sondern darum, nach vorn zu blicken. Dass eine Tafel aufgibt, habe ich noch nicht erlebt, und will es auch nicht erleben. Es muss weitergehen.

Sie gehen davon aus, dass die Bremerhavener Tafel auch im kommenden Jahr noch existiert. Wie könnte es weitergehen?

Ich bin kürzlich in Bremerhaven gewesen und habe mit Vertretern der fünf Wohlfahrtsverbände gesprochen. Wir waren uns einig, dass die Tafel auf neue Füße gestellt werden muss. Das heißt, dass die Verbände sich aus der Trägerschaft zurückziehen und künftig auf eine ehrenamtliche Struktur gesetzt wird. Es müssen jetzt Bürgerinnen und Bürger Bremerhavens gefunden werden, die sich zutrauen, die Tafel zu führen. Nach meiner Einschätzung reichen bereits rund 80 bis 100 Ehrenamtliche, um die Tafel in Bremerhaven in neuer Form weiterzuführen. Bei 120.000 Einwohnern sollte das kein Problem sein.

Mit der Volkshilfe gibt es ja bereits einen Verein als Träger der Bremerhavener Tafel. Der müsste halt nur neu organisiert werden. Wenn sich aus dem Kreis der alten und neuen Mitglieder ein paar beherzte Bremerhavener bereit erklären, in einem neu zu wählenden Vorstand Führungsaufgaben zu übernehmen, dann wird das auch etwas. Fast alle Tafeln sind ehrenamtlich organisiert, und das funktioniert. Warum sollte es also hier nicht auch klappen?

Welche Rolle kann Ihr Verband bei diesem Neustart spielen?

Der Verband und ich als jemand, der in Springe eine Tafel gegründet hat und sie seit 18 Jahren leitet, können dem neuen Vorstand beratend zur Seite stehen. Wir haben ja die Erfahrungen, was den Betrieb von Tafeln betrifft. Aber wir können auch praktische Hilfe leisten, indem wir zum Beispiel ein Tafel-Kühlfahrzeug zur Verfügung stellen.

Ein Problem gibt es auch mit den Räumlichkeiten.

Ja, das Gebäude, in dem die Tafel derzeit arbeitet, gehört der Arbeiterwohlfahrt. Die will die Räume aber künftig für andere Zwecke nutzen. Es müssen also neue Räumlichkeiten gefunden werden. Und da habe ich die beteiligten Verbände gebeten, die Suche schon jetzt parallel laufen zu lassen. Das ist eine Aufgabe, die man nicht dem neuen Vorstand aufs Auge drücken kann. Ich gehe auch davon aus, dass die Wohlfahrtsverbände für den Ausgleich eines finanziellen Defizits der Bremerhavener Tafel sorgen, falls ein solches besteht. Ein Neustart sollte nicht mit einem Minus belastet sein.

Uwe Lampe ist Vorsitzender des Landesverbands der Tafeln Niedersachsen und Bremen e. V.

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