Ohne Bleibe, ohne Schutz
Von David Siegmund-Schultze
Mietspekulation, immer mehr Leerstand, explodierende Wohnkosten. Während Wohnungskonzerne wie Vonovia oder Deutsche Wohnen ihren Gewinn erhöhen, wird bezahlbarer Wohnraum immer knapper – und die Zahl wohnungsloser Menschen in der BRD nimmt unvermindert zu. An diesem Donnerstag, dem Tag der wohnungslosen Menschen, veranstaltet die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) zahlreiche Aktionen unter dem Motto »Politik in die Pflicht nehmen – Wohnungsnot beenden«.
530.000 Menschen hatten laut einer Erhebung der Bundesregierung im vergangenen Jahr keinen festen Wohnsitz. Allein in Berlin rechnet der Senat mit einem Anstieg um knapp 60 Prozent bis 2030 – und damit auf mehr als 85.000 Personen. In den vergangenen drei Jahren hatte sich die Zahl der Wohnungslosen in der Hauptstadt bereits verdoppelt. Kein Wunder, denn die Mieten in den Großstädten sind seit 2015 im Schnitt um 50 Prozent gestiegen. Das geht aus einer Auswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung hervor. Zudem hat sich die Zahl der Sozialwohnungen seit 2006 halbiert. Demnach fehlen Hunderttausende bezahlbare Wohnungen, erklärte auch der Deutsche Mieterbund am Mittwoch. Die Vereinigung fordert eine »scharfe Mietpreisbremse« und Geldbußen für Vermieter, die sich nicht daran halten. Auch die BAG W hat klare Vorstellungen davon, was sich ändern muss: sozialer Wohnungsbau, keine Zwangsräumungen in die Wohnungslosigkeit mehr, Präventionssysteme ausbauen, menschenwürdige und geschlechtergerechte Unterbringung garantieren.
Gerade der letzte Punkt wird oft übersehen: Knapp 30 Prozent der wohnungslosen Menschen sind laut aktuellem Statistikbericht der BAG W Frauen. Sie lassen in der Regel »andere Bewältigungsstrategien« als Männer erkennen, so Annika Maretzki, Fachreferentin für Frauen des BAG W, im Gespräch mit junge Welt. »Sie landen seltener auf der Straße, dafür aber häufiger in verdeckter Wohnungslosigkeit.« Das heißt: Für ein Dach über dem Kopf und aus Angst, der Gewalt auf der Straße schutzlos ausgeliefert zu sein, gehen sie Zweckbeziehungen ein. »Das ist oft mit Ausbeutung verbunden; es wird etwa Sex oder Arbeit im Haushalt erwartet«, so Maretzki.
Gewalt in Beziehungen ist oft bereits der Grund für ihre Wohnungslosigkeit. Neben Mietschulden – geschlechterübergreifend der Hauptauslöser – geben Frauen häufig häusliche Gewalt als Ursache an, so Maretzki. Denn: Wenn der Täter nicht einwilligt, kommen die betroffenen Frauen nicht aus dem gemeinsamen Mietvertrag heraus und und stehen vielfach ohne eigene Unterkunft da.
»Wir gehen davon aus, dass allen obdachlosen Frauen bereits sexualisierte Gewalt auf der Straße angetan wurde«, sagte Charlotte Schmitz von Liela, einem Verein zur Unterstützung wohnungsloser Frauen in Bremen, gegenüber jW. Es herrsche ein »extremer Mangel« an Schutzräumen explizit für Frauen sowie an Hilfestellen, die auf sexualisierte Gewalt spezialisiert sind. Derzeit fehlen mehr als 12.000 Plätze, wie der Verein Frauenhauskoordinierung auf jW-Nachfrage mitteilte. Außerdem werden drogenabhängige Frauen und EU-Ausländerinnen in der Regel von Frauenhäusern abgelehnt – letztere, weil sie seit einer Gesetzesverschärfung 2016 häufig von Sozialleistungen ausgeschlossen werden. Doch ohne diese gibt es in den meisten Bundesländern keinen Platz, wenn man ihn sich nicht leisten kann.
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Leserbrief von Joachim Becker aus Eilenburg (12. September 2025 um 10:09 Uhr)Es ist traurig und zugleich beschämend, dass in einem so reichen Land wie der BRD, Menschen auf der Straße vegetieren müssen. Denn mit einem würdevollen Leben hat das meiner Meinung nach nichts mehr zu tun. Fast in jeder größeren Stadt der BRD sieht man obdachlose Menschen mit ihrem wenigen Hab und Gut. Wer so »leben« muss, ist abgeschrieben. Nicht nur von der Politik, sondern auch von der Gesellschaft. Und es werden immer mehr Menschen, deren Lohn oder Rente kaum noch für die Miete reicht und denen die Kündigung und das Leben auf der Straße droht. Das ist leider bittere Realität in dieser kapitalistischen BRD. In unserer sozialistischen DDR dagegen sind Bilder von obdachlosen Menschen undenkbar gewesen. Da gab es ein Recht auf angemessenen Wohnraum, die Mieten sind stabil und für jeden bezahlbar gewesen.
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Leserbrief von Patrick Büttner aus Leipzig (11. September 2025 um 09:16 Uhr)Mietwucher ist organisierte Kriminalität. Dass die Justiz und Cops nicht dagegen vorgehen, beweist das. Die Justiz erstellt Räumungsurteile und der Gerichtsvollzieher bringt zur Zwangsräumung die Cops mit. 2023 haben die in der BRD dreißigtausend Wohnungen unter Zwang geräumt. Das ist eine mittlere Kleinstadt. »Auslöser für Mietrückstände seien oft Verzögerungen der Ämter bei Sozialleistungen wie Wohngeld. So können schnell zwei Monatsmieten Zahlungsrückstand entstehen, was ein Kündigungsgrund sei.« hat die Linke seinerzeit im Bundestag erläutert. https://www.deutschlandfunk.de/zwangsraeumungen-wegen-mietschulden-nehmen-zu-104.html
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (11. September 2025 um 11:59 Uhr)Am meisten nervt mich die Gleichstellung von Obdachlosigkeit und Chancenflaute. Oder was haben wir von Pluralis Majestatis erwartet? Wir haben es in der Hand, das Problem zu lösen – hoppla!: Hat mein Regierender Bürgermeister bisher niemals erklärt!? – Kurze Frage: Wie viele sind obdachlos, wie viele sind wohnungslos, Herr Regierender? Eine allerletzte Frage, Herr Wegner: Wie viele Menschen in Berlin leben unterm Durchschnitt an Wohnfläche? Zwei oder drei Millionen?
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Leserbrief von Patrick Büttner aus Leipzig (11. September 2025 um 13:06 Uhr)Andrej Holm hat das Thema zur Genüge bearbeitet. Zilles Satz »Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt« bekommt heutzutage noch eine tiefere Bedeutung.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (12. September 2025 um 19:05 Uhr)Sie haben sich geirrt. Diese Floskel stammt tatsächlich von Karl Marx. Belegt in den ÖPM. Jennies und Karls Liebesgeschichte. Können Sie später nachlesen bei MEW eins bis zweiundvierzig. Wegen der Anhänge noch viele mehr.
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