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Aus: Ausgabe vom 10.09.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Palantir

Von Barbara Eder
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Die auf undurchsichtigen Datenbasen beruhenden Simulationen von Palantir schaffen ihre eigene Wirklichkeit

Ex-Bild-Chef Kai Diekmann bezeichnete Palantir als Unternehmen, das ihn »ganz verrückt gemacht« habe, und hält dessen Mitgründer Alex Karp für einen »unglaublichen Typen«. In Bayern, Hessen und Baden-Württemberg schwärmt die Polizei davon, mit dessen Produkten künftig Verbrechen verhindern zu können. Der dahinterstehende US-Konzern ist ein börsennotiertes Konglomerat mit fixem, zirkulierendem und fiktivem Kapital, das seine »Hobbits« quer durch Mittelerde schickt. Benannt nach den »sehenden Steinen« aus Tolkiens »Herr der Ringe«, hat Palantir Technologies Inc. derzeit einen Marktwert von rund 340 Milliar­den Euro.

Auf den ersten Blick wirken die Oberflächen von Palantirs Programmen wie Interfaces aus Ego-Shootern – mit Koordinatengrafen, Zeitleisten, Clusterkarten und Kurvenverläufen. Während »Gotham« Geheimdiensten, Militärs und Polizeibehörden assistiert, richtet sich »Foundry« vor allem an die Pharma-, Energie- und Finanzwirtschaft. Der Konzern gilt als Star der US-Überwachungsindustrie und arbeitet seit seiner Gründung eng mit Regierungsbehörden und Geheimdiensten zusammen. Aktuell unterstützt Palantir die Ukraine im Krieg gegen Russland und mischt sich aktiv in geopolitische Konflikte ein. Woher das Unternehmen seine Daten bezieht, bleibt unklar; geliefert wird ein digitaler Werkzeugkasten zum Filtern und Gruppieren von Daten, die in vergleichbare Formate gebracht und über eine gemeinsame Oberfläche miteinander verbunden werden.

Palantir produziert keine Innovationen, sondern rationalisiert die Verwertung von Vorhandenem. Aus »softer« Ware werden »Hard facts«: Verbindungen am Bildschirm erscheinen als unhintergehbare Tatsachen, Simulationen als treffsichere Prognosen. Was möglich ist, gilt als gesichert – eine Annahme, auf der auch die Sozialtechnologie des »Predictive policing« beruht. Die Gaußsche Normalverteilung wird zum permanenten Normalfall – mit Fehldiagnosen und unzähligen »False positives«. Wer aus Abweichungen und Häufungen Schlüsse zieht, übersieht, dass statistische Modelle lediglich Korrelationen abbilden. Die Folge: Harmlose Verhaltensmuster werden kriminalisiert, vermeintliche Netzwerke unter Generalverdacht gestellt. So produziert Palantir sein eigenes, hochgradig voreingenommenes Wahrheitsregime.

Wer »Sicherheitstechnologie« verkauft, muss Mythen mitliefern. In Tolkiens Welt sind Palantíri Kristallkugeln, gemacht für Fernkommunikation und Zukunftsschau; die Produkte von Palantir entstammen dem Reich der Fiktionen – und werden an der Börse doch zu barer Münze. Die Geschichte des Gründerduos liefert dazu die passende Legende: Peter Thiel, Paypal-Milliardär, Trumpist und Silicon-Valley-Ideologe mit Kaiserreichfaible, hat Palantir 2003 mit Alex Karp gegründet, der im Umfeld von Habermas und Mitscherlich am Frankfurter Sigmund-Freud-Institut promovierte. Karp, der bald erkannte, dass Ideologiekritik keine Profite abwirft, wurde CEO – und saß jahrelang in den Aufsichtsräten von BASF und Axel Springer SE.

Aus der Angst nach »9/11« machte Palantir ein Geschäft mit der inneren Sicherheit. Karp selbst bezeichnet seinen Konzern als Instanz der »Aufhebung« – ein (Ver-)Nichten, welches das »radikal Böse« in Zaum halten soll. Aus der Frankfurter Schule übernahm er nicht die Unfähigkeit zu trauern, sondern entwarf ein Drehbuch für eine neue Aufklärung: nicht Freiheit und Gleichheit, sondern Feindaufklärung im Geist des Kalten Krieges. Seither verkauft Palantir der Welt eine Ware, die vorgibt, Aggressionen zu erkennen, bevor sie hervorbrechen, und Geflüchtete abzuschieben, bevor sie die Landesgrenzen überqueren. »Palantir ist Verführung«, gibt Karp unmissverständlich zu verstehen. Gemeint als Warnung, wirkt es wie Werbung. Seine »Hobbitfirma« mit dem Anspruch auf totale Kontrolle lebt vom Zauber, nicht von der Substanz – und generiert daraus neue Umsatzströme.

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