Autobahn zum Himmel
Von Norman Philippen
Darob, dass seine Heiligsprechung wegen plötzlichem Pontifex-Exitus im April platzte, hätte Carlo Acutis wohl nicht gezürnt. Vielleicht hätte er gar geschmunzelt ob des Geschicks, dass Franziskus die eigens eilig durchgepeitschte Kanonisation im selbst verkündeten Heiligen Jahr 2025 nicht mehr miterleben kann. War Carlo doch ein sehr freundlicher, sonst aber ziemlich normaler Junge, mit Spaß an Autos, Playstation, Komödien und geschmacklosem flachen Gebäck aus Wasser und Mehl. Dass es unbedingt täglich eine aus gütiger Hand empfangene Hostie für Carlo sein musste, hatte er ehemaligen Kameraden zufolge nie groß an die Schulglocke gehängt und auch sonst in puncto Frömmigkeit gut dichtgehalten.
So fügte es sich gottseidank, dass Carlos Eltern um so besser all die Weisheiten ihres 2006 mit nur 15 Jahren an Leukämie verstorbenen »Cyberapostels« bzw. »Influencer Gottes« memorierten. So dass diese zum Heiligen Jahr in eine Auflage gehen konnten, die für die von Rom anvisierten 45 Millionen Pilger mit Gottes Hilfe am Ende reicht. Vor 45 Jahren hätte das von Muttermund bekundete Carlossche Motto »Die Eucharistie ist meine Autobahn zum Himmel« als christliche Botschaft an die Jugend beinahe verfangen können in den Zottelmähnen jener jungen Teufelskerle, die allerdings lieber auf Highways zur Hölle fahren wollten. Dass die Kirche heute wie gestern nicht im Heute steht, sondern dem Gestern hinterherhinkt und das dann als Morgen verkauft, ist allerdings nicht nur Karl Kraus aufgefallen.
Wenn auch nicht den 80.000, die am vergangenen Sonntag auf dem Petersplatz in Rom Leo XIV. lauschten, wie er zu Carlos (und eines 1925 verstorbenen nun Heiligen von weniger Belang) Kanonisation Worte fand, die laut Leo »geradezu wie für diesen Tag geschrieben« waren. Die Worte: »(Herr), wer hätte deinen Willen erkannt, wenn du ihm nicht Weisheit gegeben und deinen heiligen Geist aus der Höhe gesandt hast?« (Weish 9,17) nämlich. Da »das größte Risiko im Leben« darin bestehe, »es abseits von Gottes Plan zu verschwenden«, warnte der Papst väterlich die Jugend mit Jesu Wort aus dem Evangelium: »Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht, kann nicht mein Jünger sein« (Lk 14,27).
Warme Worte, die Carlo sicher gefallen hätten, dem Gott schon in so jungen Jahren die Weisheit gegeben hatte, SEINEN Willen zu erkennen und sein Kreuz gottesplangemäß so flink zu Jesu zu tragen, dass er mit der Anfertigung seiner Online-Eucharistie-Wunderliste wegen Leukämietod mit 15 nicht mehr fertig wurde. Das hat seine Mutter Antonia Salzano besorgt, deren gute Kontakte in hohe Kirchenkreise der von manch Katholiken als »santo subito« kritisierten, da nur 19 Jahre vorbereiteten Knall-auf-Fall-Kanonisation mutmaßlich nicht im Wege standen. Bestimmt hat sie auch den bequemen Hoodie und die Nike-Sneaker rausgesucht, die ihr in der Basilika Santa Maria Maggiore in Assisi in einer Vitrine aufgebahrter, auf ewig restaurierter Sohn Carlo trägt. Sein Herz konnte mit der in Finanzfragen vorbildlich fitten Eltern Segen als heilige Reliquie diesen Frühling auf Europatournee gehen und ward vielerorts verehrt.
Zwar halten auch viele Katholiken nichts von der Heiligsprecherei, und erkennt man auch als Redakteur Louis Berger von Kirche und Leben. Das Plus für engagierte Christen leicht, dass »sich ein Spalt zwischen der öffentlichen Figur Acutis und dem realen Teenager Carlo« auftut. Und klar: »Dass immer noch ein Wunder nötig ist, um diesen Status zu erlangen, mag befremden«, vermutet richtig Thomas Jansen von der FAZ. Aber gibt es ja zwei Wunder, die vatikanverbürgt aufs Konto des toten Teenagers gehen respektive todsicher jedenfalls auf das der Eltern nun einzahlen.
Ein Jugendlicher mit einer schweren Erkrankung der Bauchspeicheldrüse, der gesundete, nachdem er Carlos andächtig gewesen war und die junge Frau, die nach einem Unfall wieder heile wurde, weil ihre Mutter an Carlos Grab dafür gebetet hatte. Und, zweites Aber, wieder Jansen zu Heiligen: »Aber was ist an ihrer Verehrung schlechter als am Starkult etwa um Taylor Swift?«
Kann man eigentlich mit der ARD-Korrespondentin Lisa Weiß nur noch bewundernd staunen: »Das ist einfach Glaube.« Auch ums Potential des katholischen Rezepts, die Jugend wieder vermehrt gläubisch zu machen, weiß Weiß, denn: »Ein Heiliger in Jeans und Turnschuhen, der einen eigenen Facebook-Account hatte – für Insta und Tik Tok war es noch zu früh –, das ist schon etwas, um junge Menschen dazugewinnen zu können.«
Allerdings. Das ist schon etwas. Wenn auch etwas eigentlich Unfassbares. Aber dafür ist die Kirche andererseits ja auch nu wieder da. Und so bleibt am End wohl alles so sonder und wunderbar wie es immer war auf der Irren Erden. Carlos Eltern zum Troste und der Kirche zum Protze bleibt von all dem Wundersamen erklärlicherweise viel vom realiter Anfassbaren, Wahren: Baren.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
Unterm Hammer
vom 10.09.2025 -
Die gläserne Wand
vom 10.09.2025 -
Hoelzke, Henckels, Adorf
vom 10.09.2025 -
Sein wichtigster Wechsel
vom 10.09.2025 -
Rotlicht: Palantir
vom 10.09.2025 -
Nachschlag: Einer der besten
vom 10.09.2025 -
Vorschlag
vom 10.09.2025 -
Veranstaltungen
vom 10.09.2025