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Aus: Ausgabe vom 10.09.2025, Seite 10 / Feuilleton

Hoelzke, Henckels, Adorf

Von Jegor Jublimov
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Paul Henckels (l.) und Gretl Schörg in »Herr Sanders lebt gefährlich« (Robert A. Stemmle, 1943)

In dem DFF-Sportlerfilm »Zweite Liebe ehrenamtlich« (1977) mit Gojko Mitić und Michael Pan konnten Zuschauer als Automechaniker mit Hubert Hoelzke ein typisches »Fernsehgesicht« aus den fünfziger und sechziger Jahren wiedererkennen. Er war zugleich Regisseur dieses Unterhaltungsfilms. Seit etwa 1956 entwickelte Hoelzke sich mal als pfiffiger, mal begriffsstutziger Berliner zu einem Publikumsliebling in Fernsehspielen und Unterhaltungssendungen des DFF. Er war vielseitig, trat als Komiker auch im Kabarett und beim Musiktheater auf. Als Schauspieler reüssierte er in Stücken von Friedrich Wolf und Slatan Dudow. Doch er fing bald an, im damals noch jungen Medium Fernsehen Regie zu führen, inszenierte Stücke von Gorki, Miller, Williams und wurde zu einer festen Größe für Krimistoffe in den Reihen »Fernseh­pitaval«, »Kriminalfälle ohne Beispiel« und im »Polizeiruf 110«. Zur Erholung spielte er auch kleine Rollen bei Kollegen, etwa neben seiner Frau Evamaria Bath als Ehepaar in »Die letzte Fahrt« (1978). Auch sein Sohn Christian A. Hoelzke stand gelegentlich in den Inszenierungen seines Vaters vor der Kamera. Hoelzkes Hauptwerk wurden 18 Teile der Serie »Märkische Chronik« (1983), die einen Bogen über zwei Jahrzehnte dörflichen Lebens schlug. Fürs Kino drehte Hoelzke Filme aus der Kurzfilmreihe »Das Stacheltier« und den LPG-Film »Alwin der Letzte« (1960, zuvor schon als TV-Version). Als Fingerübung machte er immer mal wieder Werbefilme. Er starb 2018 und wäre am Sonnabend 100 Jahre alt geworden.

Die Mitwirkung in Werbefilmen war Paul Henckels nicht fremd, und auch Kurzfilme wie »Wie kommen die Löcher in den Käse?« (1932) nach Kurt Tucholsky gehören zu seiner Filmographie. Der beliebte Darsteller schrulliger Herren wurde am 9. September 1885 im rheinischen Hürth geboren. Erstaunlich, wie viele Größen seiner Zeit seinen Weg kreuzten. Ein Schulfreund hatte das Volksstück »Schneider Wibbel« geschrieben, dessen Titelrolle Henckels von 1913 bis 1956 rund 1.500 Mal spielte. Bei der Uraufführung war auch ein Ret Marut dabei, der erst viel später unter dem Namen B. Traven weltbekannt werden sollte und über den der Schauspieler kurz vor seinem Tod 1967 bei »Stern TV« erzählte. Paul Henckels arbeitete schon früh als Schauspiellehrer und bildete u. a. Gustaf Gründgens aus. Das kam ihm zugute, als Gründgens in den Nazijahren das Preußische Staatstheater am Gendarmenmarkt leitete. Trotz seiner Popularität brauchte Henckels seinen Schutz, denn er hatte jüdische Vorfahren, und seine zweite Ehefrau Thea Grodtczinsky war Jüdin.

Zu Henckels’ Jugendfreunden zählte der Schriftsteller Heinrich Spoerl, Autor der Filme »Der Maulkorb« (1938), eine Satire auf wilhelminische Obrigkeitshörigkeit, in der der Schauspieler als Tagelöhner Wimm brillierte, und »Die Feuerzangenbowle« (1943), aus der er als Professor Bömmel noch immer Berühmtheit genießt. Ebenso ist er unvergessen als Tierarzt Pudlich in den Heimatfilmen der »Immenhof«-Reihe der 50er Jahre. Eine künstlerisch anspruchsvolle Rolle hatte er zuvor bei der Defa gespielt – den Arzt in »Wozzeck« (1947).

Als Henckels in der Klamotte »Kirschen in Nachbars Garten« (1956) einen Schriftsteller spielte, war in der Rolle eines Knastbruders ein unbekannter junger Schauspieler dabei. Mario Adorf, der am 8. September 95 Jahre alt wurde, verblüffte sechs Jahrzehnte später in der Titelrolle von »Karl Marx – Der deutsche Prophet«. Auch in Interviewäußerungen merkt man ihm an, dass er sich mit dem Denker eindringlich beschäftigt hat.

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