Staatsterrorismus
Von Jakob ReimannEs war ein terroristischer Akt: In der Nacht zum Dienstag wurde eines der Hauptboote der humanitären Gazaflottille vor dem Hafen von Tunis »von einer Drohne getroffen«. Zwar seien »alle sechs Passagiere, wie auch die Besatzungsmitglieder« in Sicherheit und unverletzt, doch seien »Brandschäden auf dem Hauptdeck und im Lagerraum unter Deck« entstanden, heißt es in einer Presseerklärung der Organisatoren der »Global Sumud Flotilla«. Die rund 50 Boote und Schiffe, auf denen sich auch international bekannte Persönlichkeiten wie Greta Thunberg und Susan Sarandon befinden, sind auf dem Weg nach Gaza, um dort die seit Monaten mit brutaler Gewalt durchgesetzte Hungerblockade Israels zu durchbrechen und Nahrungsmittel und Hilfslieferungen an die ausgezehrte Bevölkerung zu übergeben.
Das tunesische Innenministerium wies die Berichte, das unter portugiesischer Flagge fahrende »Family Boat« sei von einer Drohne getroffen worden, zurück und unterstellte den Aktivisten, das Feuer durch eine brennende Zigarette oder einen Joint gelegt zu haben. Doch ein von mehreren internationalen Nachrichtenorganisationen verbreitetes und von Al-Dschasira verifiziertes Video des Vorfalls zeigt einen großen Brandsatz, der aus der Luft auf das Schiff fällt und dort eine Explosion verursacht.
In einer gemeinsamen Erklärung haben jüngst Hunderte Parlamentarier weltweit Regierungen aufgefordert, die Sicherheit der »Sumud«-Flottille auf ihrem Weg nach Gaza zu gewährleisten. »Allen ist bewusst, dass Israel in diesem Ausmaß nur handeln konnte und kann, weil es de facto Rückendeckung aus den USA und Unterstützung aus Deutschland erhält«, so Özlem Demirel, Europaabgeordnete der Partei Die Linke und eine der Unterzeichnerinnen, am Dienstag gegenüber junge Welt. »Ein Drohnenangriff auf ein ziviles Schiff ist illegal«, so Demirel unmissverständlich. Da sowohl Portugal als auch Tunesien Unterzeichner des Rom-Statuts sind, könnte der Angriff auf die Flottille »ein Kriegsverbrechen im Sinne der Gerichtsbarkeit des IStGH darstellen«, so auch die Völkerrechtsexpertin Heidi Matthews von der Harvard University gegenüber Al-Dschasira. Nachdem die Nachricht des Angriffs die Runde machte, versammelten sich spontan Hunderte Menschen am Hafen Sidi Bou Saïd und äußerten mit Palästina-Flaggen und Gesängen ihre Solidarität mit den Aktivisten.
Unterdessen hat Israel am Dienstag ein weiteres Land bombardiert: Nach Angriffen auf ein Wohnviertel in Doha verbreiten sich in den sozialen Medien Aufnahmen mit riesigen Rauchschwaden über der katarischen Hauptstadt. Der Angriff auf den engen US-Verbündeten galt der Hamas-Delegation, die sich zu Gesprächen über den US-Friedensplan für Gaza in der Stadt aufhält, so das israelische Militär. Hamas-Quellen gaben laut Reuters an, dass von der Delegation niemand getötet wurde. Zwar soll die US-Regierung dem israelischen Fernsehsender Channel 12 zufolge grünes Licht für den Angriff gegeben haben, doch übernimmt Israel »die volle Verantwortung«, heißt es aus Netanjahus Büro. Ein Sprecher des katarischen Außenministeriums hat laut Al-Dschasira den »feigen« Angriff auf die Wohngebäude »aufs Schärfste verurteilt«. »Dieser kriminelle Angriff stellt einen eklatanten Verstoß gegen alle internationalen Gesetze und Normen dar«, so der Sprecher weiter. Seit Beginn des Völkermords in Gaza hat Israel sieben Länder bombardiert: Palästina, Libanon, Syrien, Irak, Jemen, Iran – und nun Katar.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (10. September 2025 um 10:33 Uhr)Der Angriff während laufender Verhandlungen zeigt unmissverständlich, dass Israel nicht auf Frieden abzielt, sondern seinen Krieg gegen die Hamas fortführen will. Mit dem Schlag in Doha hat die israelische Regierung internationale »rote Linien« überschritten und scheint jedes Maß und jede Verhältnismäßigkeit zu verlieren. Ohne entschlossenes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft droht eine weitere Eskalation.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (10. September 2025 um 18:09 Uhr)Lieber Istvan H. welche »internationale Gemeinschaft« ist das, die da eingreifen soll? Die NATO und allen voran die USA haben alles getan, um die Vereinten Nationen zu lähmen, in solchen Fällen den Aggressoren machtvoll Einhalt gebieten zu können. Und sie werden auch weiterhin alles tun, damit Israel nicht in die Schranken gewiesen wird. Schließlich geht es dort um »ihr« Öl, dessen Ausbeutung Israel mit Faust und Schwert für sie sichert. Welcher Teil der zerstrittenen internationalen Gemeinschaft hat ganz real die Kräfte und die Möglichkeiten, diesem Treiben ein Ende zu setzen? Ganz nüchtern: Da ist (noch) niemand, der das wirklich bewerkstelligen könnte. Denn nur mit Appellen und markigen Sprüchen allein ist die Bestie nicht zu zähmen, die da im Nahen Osten als Stellvertreter für die USA und die NATO wütet.
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