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Aus: Ausgabe vom 09.09.2025, Seite 16 / Sport
Radsport

Siegen und verlieren lassen

Nach zwei Dritteln der Vuelta hat UAE fast die Hälfte aller Etappensiege geholt
Von Felix Bartels
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Das Hinterrad halten: Vingegaard folgt Almeida

Nase an Nase liegen die beiden Favoriten. Schmale 48 Sekunden trennen João Almeida (UAE) vom Gesamtführenden Jonas Vingegaard (Visma). Überraschend, denn so knapp war der Vorsprung des großen Favoriten nicht erwartet worden. Nicht überraschend, denn dass Almeida sein stärkster Gegner sein würde, war vorauszusehen.

Vismas Plan bleibt wie oft rätselhaft. Die Ausgangslage nach dem ersten Ruhetag schien denkbar günstig. Mit Matteo Jorgenson und Sepp Kuss hatte man zwei weitere Fahrer in Schlagdistanz. Alles sprach für eine Zangentaktik, Almeida mit wechselnden Attacken in die Defensive zu drängen. Ließe er einen der Visma-Fahrer ziehen, wäre der Gesamtsieg dahin, jede Attacke mitzugehen hätte ihn schnell zermürbt. Zumal Almeida ein starker Kletterer ist, der Rhythmuswechsel nicht gut verträgt. Visma entschied sich gegen Offensive, so konnte UAE das Rennen zum Ausscheidungsfahren machen. Kuss und Jorgenson verloren verschiedentlich Zeit, bis der taktische Vorteil abhanden kam.

Auch sonst bekam UAE die Vuelta zunehmend in den Griff. Das Team führt die Mannschaftswertung an, Jay Vine hält das Bergtrikot, auf sieben der bislang gefahrenen 15 Abschnitte siegte ein UAE-Fahrer. Die Kehrseite dieser Hans-Dampf-Masche: Almeida blieb im Finale mehrfach ohne Helfer.

Auf der 10. Etappe hatte UAEs Jay Vine gemeinsam mit Javier Romo (Movistar) und Jardi van der Lee (UCI) früh attackiert, nach 75 Kilometern wurden die Ausreißer gestellt. Vine, der zwischenzeitig bereits dem Team gefunkt hatte, dass er für den Rest der Etappe raus ist, schloss später erneut zur Spitzengruppe auf. Als die im Finale auseinanderfiel, kassierte er Ausreißer um Ausreißer, während Almeida hinten im Feld das Tempo verschärfte. Dadurch entstand ein taktischer Zwiespalt, das Tempo der Favoritengruppe sollte hoch bleiben, aber nicht so hoch, dass der Etappensieg des Teamkollegen gefährdet würde. Am Ende holte Vine seinen zweiten Sieg bei dieser Vuelta.

Nachdem die 11. Etappe aufgrund propalästinensischer Proteste im Zielort Bilbao neutralisiert worden war, setzte UAE auf der 12. Etappe seine Serie fort. Ausgerechnet Juan Ayuso gewann das Finale im Sprint gegen Romo. Die Kräfte dafür hatte er an den Vortagen gespart, wo er nahezu konsequent Helferarbeit für Almeida mied. Die Teamleitung von UAE gab bekannt, dass Ayuso für einen Wechsel freigestellt sei. Zu oft hatte er mangelnde Bereitschaft demonstriert, Energie in den Erfolg seiner Mitfahrer zu stecken. In der zweiten Woche ließ er sich wenigstens zu ein paar kurzen Alibiführungen herab.

Den Höhepunkt der Woche markierte die 13. Etappe hinauf zum Alto de Angliru. Der für die Vuelta das ist, was die Planche des Belles Filles für die Tour und der Monte Zoncolan für den Giro sind: Mit 9,8 Prozent durchschnittlicher Steigung auf 12,4 Kilometern, in manchen Passagen bis zu 23 Prozent, enorm steil also und in sich sehr wechselhaft, ist er der härteste Anstieg im Repertoire. Dass für Almeida gilt, was auch für Vingegaard gilt: Je länger und steiler, desto besser, zeigte sich naturgemäß an diesem Anstieg. Passagenweise fuhren selbst diese beiden besten Kletterer des Starterfelds nicht schneller als Schrittgeschwindigkeit, am Ende kamen sie zeitgleich ins Ziel. Almeida hatte von Beginn an das Tempo hochgehalten und mittels gleichmäßig hartem Ausscheidungsfahren die Konkurrenz nach und nach dezimiert. Vingegaard konnte ihm folgen, doch auch nicht drübergehen. Im Finale war ein Sieg des endschnelleren Vingegaard wahrscheinlich, doch die kurvenreichen letzten Meter machten es dem Gesamtführenden unmöglich, an Almeida noch vorbeizuziehen. Der besorgte seinem Team den sechsten Etappensieg.

Es ist ein Merkmal des jüngeren Radsports, dass Siege weniger verteilt werden. Lange Zeit, so etwa zwischen Merckx und Pogačar, galt es als anständig, nicht so oft zu gewinnen, wie man gewinnen könnte. Die dominanten Teams der World Tour – UAE, Visma, Lidl, Soudal Quick Step – schenken heute kaum noch Siege her. Kleinere Teams beschweren sich regelmäßig, für sie, die dem Druck ihrer Sponsoren ausgesetzt sind, wird die Gier der großen Teams irgendwann existentiell. Gewiss: Sport ist Wettbewerb und sollte bestehende Leistungsgefälle abbilden, doch man kann das Prinzip, wie alles, übertreiben. Dass UAE auf der 14. Etappe dann mit Marc Soler erneut einen Sieg holte, war auch der Rennsituation geschuldet. Strategisch sinnvoll bleibt durchaus, Fahrer in Fluchtgruppen mitzuschicken. Das ist von Vorteil in der Mannschaftswertung wie auch taktisch, indem Fahrer aus der Spitzengruppe sich zurückfallen lassen können, um ihren Kapitänen im Finale zu helfen. Der fünfte Etappensieg in Folge und der siebente innerhalb von neun Renntagen könnte allerdings zu Verwerfungen im Peloton führen. Jedes Team braucht Freunde im Feld, im Laufe einer Etappe müssen hier und da Allianzen gebildet werden. Man sieht sich immer 171mal im World-Tour-Leben.

Auf der 15. Etappe am Sonntag holte Mads Pedersen für Lidl-Trek den ersten Sieg, das mittelschwere Profil des Tages war ideal für den Klassikerfahrer. Er war bis dato unter den Erwartungen geblieben. Aus dem Giro im Frühjahr ging er mit vier Tagessiegen, allerdings ist sein Vorsprung in der Punktewertung bei dieser Vuelta kaum noch einzuholen.

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