Kleine Tierchen
Von Helmut Höge
Kürzlich besuchten wir das Micropia-Museum in Amsterdam. Es ist das weltweit einzige, das sich Mikroben widmet – mit etwa 25 Angestellten, die sich mit den Tierpflegern im Zoo nebenan vergleichen. Ihre Tiere kann man allerdings nur unterm Mikroskop sehen. Da die US-amerikanische Mikrobiologin Lynn Margulis zu meinen Vorbildern zählt, hat mich die »Unsichtbarkeit« dieser Tierchen nicht abgeschreckt. Eher schon die Umwelt des Museums – Amsterdam, wo man nicht mal mehr ohne Smartphone auf eine öffentliche Toilette gehen oder mit der Straßenbahn fahren kann. Schrecklich.
Das Micropia-Museum steht nicht zufällig in Amsterdam – gelebt hat hier der Glasschleifer Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723), der nicht bloß das Mikroskop erfand, sondern auch überaus fasziniert war von dem, was ihm seine Erfindung sichtbar machte: »Animalcules« (kleine Tierchen). Das Deutsche Museum in München schreibt: »In seinem Zahnbelag fand Leeuwenhoek als erster Bakterien; er entdeckte den peripheren Blutkreislauf in den feinen Kapillaren und konnte damit die Verbindung des arteriellen mit dem venösen Blutkreislauf erklären; seine spektakulärste wissenschaftliche Tat aber war die Entdeckung der menschlichen Spermatozoen und der geschlechtlichen Fortpflanzung aller Lebewesen; akribisch beobachtete er, neben dem vieler anderer Tiere, das sexuelle Verhalten der Flöhe und die Entwicklungsschritte vom befruchteten Ei bis zum fertig entwickelten Floh. Dabei scheute er sich nicht, diese Forschungsobjekte in seiner Hosentasche mit sich herumzutragen und mit dem eigenen Blut zu ernähren.« Es verwundert nicht, dass die erste Abteilung im Micropia-Museum van Leeuwenhoek gewidmet ist.
Vor einiger Zeit gab es in Schwerin eine große Ausstellung mit Bildern holländischer Maler aus dem 17. Jahrhundert. Ein Schwerpunkt waren die »Waldstilleben«, Hauptvertreter war Otto Marseus van Schrieck (1619–1678). Er malte Biotope mit wildwachsenden Pflanzen und kleinen Tieren wie Eidechsen, Fröschen und Insekten. Oft handelt es sich dabei um die Vegetation (und Fauna) eines Waldbodens oder eines Sumpfes. Die Tiere, die er malte und liebte, hielt er lebend in seinem Haus und Garten. In der Schweriner Ausstellung wurde auch an van Leeuwenhoek erinnert.
Maria Sybilla Merian (1647–1717) war Naturforscherin, Künstlerin und Geschäftsfrau, die gemeinsam mit ihrer Tochter in der holländischen Kolonie Surinam forschte und malte. Sie machte zu den verschiedenen Entwicklungsstadien der Schmetterlinge und Falter detaillierte Aufzeichnungen und entwickelte einen neuen Bildtyp, das ästhetisierende »Metamorphosenbild«. Sie ist Wegbereiterin der modernen Insektenkunde. Später veröffentlichte sie zwei Bände mit dem Titel »Der Raupen wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumennahrung«. Eine ihrer Entdeckungen: dass Schmetterlinge und andere Insekten vom Nektar und Pollen der Blumenpflanzen leben.
Dass auch umgekehrt Blumen mit der Hilfe von Insekten leben, weil Insekten bei der Nahrungssuche Blumen befruchten, fand der Spandauer Schulleiter Christian Konrad Sprengel (1750–1816) heraus. Er war weniger glücklich als die drei holländischen Forscher bzw. Maler. Sprengels Buch »Das entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen« wurde von vielen Naturforschern abgelehnt. Auch kniete er sich buchstäblich in seine Blumen-Insekten-Beobachtungen auf der Wiese – man entließ ihn als Schulleiter wegen Pflichtvergessenheit.
Das Micropia-Museum klärt begeistert darüber auf, dass Mikroben nicht nur Krankheitserreger sind, sondern für uns lebensnotwendig – wir haben 39 Billionen Bakterien, Viren und Pilze an und in unserem Körper bei 30 Billionen Körperzellen.
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