Harter Sound, sanftes Leben
Von Maximilian Schäffer
Cordula Kablitz-Post bringt eine weitere ihrer anschmiegsamen Musikerdokumentationen auf den Markt. Die Grimme-Preis-Trägerin (2006 für die Promis-begegnen-sich-Serie »Durch die Nacht mit …«) porträtierte fürs Kino bereits Nina Hagen, Wolfgang Joop, die Toten Hosen, David Garrett und Scooter. Tatsächlich war der sehr sanfte Ansatz der Filmfachfrau für Menschen bei letzteren – dem Bumsmusikgeneral aus Ostfriesland und seinen Tastensöldnern – am interessantesten. H. P. Baxxters ganz eigentümliche, unausweichliche Ex- und Egozentrik stattete das Leinwandmerchandise mit einem Fünkchen innerer Kontroverse aus. Bei Scooter war einer ab und zu mal nicht nett, nicht weise, nicht liebenswürdig.
In ihrem neuen Dokumentarfilm widmet sich die Regisseurin einem Kapitel echter deutscher Arbeiterjugendmusik. Anfang der 80er Jahre keimt auch in der BRD längst der Punk, oder vielmehr bereits der Postpunk. Seine Keimzelle, den legendären Ratinger Hof in Düsseldorf, bespielen vor allem Studenten der Kunsthochschulen, Söhne und Töchter der oberen Mittelschicht. Gut 50 Kilometer östlich, in Essen-Altenessen, wird noch unter Tage malocht, ist das Milieu ein ganz anderes. Für viele Teenager stellt sich die Frage nach einer Alternative zur Zeche. Jürgen »Ventor« Reil nimmt sein Konfirmationsgeld und kauft sich ein Schlagzeug. Sein Kindergartenkumpel Miland »Mille« Petrozza, Sohn eines italienischen »Gastarbeiters« und einer DDR-Flüchtigen, drischt die Gitarre und singt dazu. Die Band Kreator entsteht und improvisiert sich mit einiger Zielstrebigkeit einen ganz eigenen Sound zusammen – den teutonischen Thrash Metal. So wird er bald auch international bezeichnet werden. Anders als die US-amerikanischen Gegenspieler, wie zum Beispiel Metallica und Anthrax, sind die Deutschen noch härter, stumpfer, düsterer. Ungefähr gleichzeitig zu Kreator entsteht ein paar Straßen weiter die Band Sodom. Sie sind das Ying zum Yang der recht ambitionierten Jungs. Während Kreator sich um Professionalität und Erwachsenheit bemühen, saufen sich Sodom verspielt durch die Welt.
All das hätte zumindest Nebenschauplatz eines Films über die deutsche Heavy-Metal-Szene sein können, »Kreator – Hate & Hope« ist aber ein Film über Kreator und sonst nichts. Weder der ewige Rivale Tom Angelripper von Sodom noch die hessischen Kollegen von Tankard oder die südbadensischen Destruction kommen mehr als eine Minute zu Wort. Man schaut also lieber Frontmann Mille dabei zu, wie er zusammen mit Lars Eidinger im Promirestaurant marinierte Möhren isst und alkoholfreien Rosé bestellt. Ständig trägt der Sänger dabei werbewirksam ein T-Shirt einer Berliner Yogaschule. Kindheitsfotos werden gezeigt und Drummer Ventor plaudert aus dem Nähkästchen von den Schwierigkeiten eines Familienvaters auf Welttournee. Aufnahmen aus den »wilden Zeiten«, der ersten Tournee in den USA, darf der Fan bewundern und sich wundern, ob die Band hinter den Kulissen schon immer so gemäßigt war. Der junge wie der alte Mille Petrozza sprechen nach den Auftritten eigentlich nur immer selbstoptimierend über ihre eigenen Spielfehler auf der Bühne.
Kreator übrigens, so lernt der Kinogänger, war die erste antifaschistische Band im deutschen Metal. Wo die anderen noch über Satan und Blutfest sich abarbeiteten, rief Mille Petrozza schon »Fuck the fascists!« von der Bühne. Dies wird unterstrichen von einer Szene im Film, wie der »Heiland« (so nennen ihn sarkastisch die Bandkollegen) zusammen mit Marcus Bischoff dem Sänger der Thüringer Metalcore-Größen »Heaven Shall Burn« durch die Gedenkstätte des KZ Buchenwald streift. Besonders betroffen zeigen sich die beiden Sendungsbewussten von der Genickschussanlage und der AfD. Textmaterial für mindestens zehn neue Kreator-Songs.
»Kreator – Hate & Hope«, Regie: Cordula Kablitz-Post, BRD 2025, 114 Min., bereits angelaufen
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