»Brauchen mehr Ressourcen für die pädagogische Arbeit«
Interview: Gitta Düperthal
Ultrarechte Akteure unternehmen Anwerbeversuche an hessischen Schulen, worüber die Regionalpresse zuletzt verstärkt berichtete. Welche Organisationen sind dabei aktiv, und wo finden diese Versuche statt?
Vieles läuft unter dem Radar. Vor allem in ländlichen Gegenden in Mittelhessen ist etwa die Partei Die Heimat aktiv, auch der »III. Weg« versucht in einigen Regionen, Schülerinnen und Schülern diese Ideologie anzudrehen. Vor städtischen Schulen scheint es weniger organisiert zuzugehen.
2024 wurden 172 extrem rechte Vorfälle an Schulen in Hessen registriert. Das Problem habe sich gegenüber 2023 mehr als vervierfacht, hieß es. Im ersten Halbjahr 2025 wurden dann allein 35 Anzeigen gestellt. Worum geht es dabei?
Die Szene hat sich verändert. Anwerbeversuche mit dem Verteilen von Rechtsrock-CDs sind nahezu von der Bildfläche verschwunden. Nationalistische, rassistische Faschogesänge werden im Internet präsentiert sowie Aufkleber, Flugblätter und ähnliches auf Schulhöfen verteilt oder Wände beschmiert. Die zunehmende Anzahl von Anzeigen muss aber nicht zwangsläufig mit einem höheren Aufkommen zu tun haben. Um es sichtbar zu machen, bringt man jetzt oft Hakenkreuzschmierereien, das Anbringen von Aufklebern verfassungsfeindlicher Organisationen oder nationalistischen Bildern und, was seltener vorkommt, das Zeigen des Hitlergrußes zur Anzeige. Derlei Flugblätter oder Sticker warf man früher einfach weg.
Wie erklären Sie die allgemeine Rechtsentwicklung?
Der verschärfte politische gesellschaftliche Diskurs entstand durch Zuschreibungen als vermeintliche Problemverursacher von Menschen, die zu uns flüchteten oder der Sozialhilfe bedürfen. Oder etwa auch durch die Auseinandersetzung mit der letzten Regierung, der rechte Parteien die Verantwortung für Migration zuschoben. Er lässt sich auch mit Äußerungen von Politikerinnen und Politikern der aktuellen Bundesregierung erklären, die für soziale Probleme Arme oder auch Migrantinnen und Migranten zu Sündenböcken macht – oder mit dem Signal, das Kanzler Friedrich Merz mit dem gemeinsamen Abstimmen mit der AfD vor der Bundestagswahl 2024 setzte. Rechte Positionen wurden normalisiert. Aber zugleich entwickelte sich eine breite gesellschaftliche Gegenbewegung, etwa nach dem »Remigration«-Treffen 2023 in Potsdam.
Welche Folgen hat das im schulischen Umfeld?
Im Unterricht gibt es solche Vorfälle nur vereinzelt: etwa als die Staatsanwaltschaft ermittelte, weil Schüler aus Wiesbaden während eines Kinobesuchs die Ermordung von Millionen Juden beklatschten oder im Lahn-Dill-Kreis das Lied »L’amour toujours« mit ausländerfeindlichem Inhalt verfremdeten. Solche Vorfälle müssen wir pädagogisch aufarbeiten.
Das Kultusministerium des Landes Hessen verweist auf Beratungs- und Weiterbildungsangebote für Schulleitungen und Lehrkräfte zum Umgang mit extrem rechter Propaganda.
Fortbildungen, oft außerhalb der Unterrichtszeit angeboten, kann das Lehrpersonal kaum wahrnehmen. Andererseits hat das Ministerium den Werteunterricht zunächst nur für Schülerinnen und Schüler ohne Deutschkenntnisse eingesetzt. Das suggeriert stigmatisierend, wer deutscher Herkunft ist, braucht so etwas nicht, und es gehe auf Kosten der Zeit für den Deutschunterricht. Wir fordern dagegen einen diskriminierungsfreien Umgang mit Bildungspolitik. Dieses Signal ist aber kaum von einer CDU/SPD-Landesregierung zu erwarten, die sich des härtesten Genderverbotes der Republik rühmt. Wir brauchen mehr Zeit und Ressourcen für die pädagogische Arbeit, um gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu wirken.
Wie stellt sich die GEW gegen den Rechtsruck auf?
An Protesten gegen die AfD-Veranstaltung in Neu-Isenburg 2024 oder deren Parteitag in Hofheim 2025 beteiligten wir uns. Im Bündnis werden wir aktiv gegen den Gründungskongress der AfD-Jugendorganisation Ende November in Gießen. Und wir gründen gerade ein breites Bündnis für Ausbildung statt Abschiebung. Schülerinnen und Schüler müssen schließlich durch Entscheidungen der Landesregierung fürchten, abgeschoben zu werden.
Thilo Hartmann ist Vorsitzender der GEW Hessen
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