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Aus: Ausgabe vom 08.09.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Linke Debatte

Die Praxis und das Menschliche

Fortschrittliche Zusammenhänge aufbauen: Vijay Prashad über die Weltlage und eingreifendes Handeln
Von Kai Köhler
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Vijay Prashad als Referent bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz (9.1.2021)

Zunächst der Einwand: Der Untertitel des Buches kündigt ein Gespräch an, doch kann davon keine Rede sein. Der Filmproduzent und Autor Frank Barat stellt knappe, kluge Fragen oder provoziert mit einem Zitat. Vijay Prashad, Direktor des Instituts für Sozialforschung Tricontinental, antwortet darauf ausführlich. Zu einer wirklichen Auseinandersetzung über das Gesagte kommt es nicht.

Seit der englischsprachigen Erstausgabe (2022) dieses nun in deutscher Übersetzung im Mangroven-Verlag erschienenen Buches ist in der Welt viel passiert. An einzelnen Stellen merkt man das. Die Covid-Pandemie spielt noch eine gewisse Rolle, mitsamt der staatlichen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus. Sie waren zum großen Teil begründbar und doch zugleich ein Übungsfeld dafür, Repression einzuüben. Neue und vermutlich gefährlichere Krisen haben der Pandemie inzwischen im öffentlichen Bewusstsein ein sehr entferntes Hinterzimmerchen zugewiesen. Für Prashads Analysen spricht, dass sie auch unter den Umständen einer unmittelbaren Vorkriegszeit noch gültig sind. Etwas irritierend ist lediglich der »nicht enden wollende Optimismus«, den er sich selbst attestiert: »Als linker Mensch pessimistisch zu sein, ist albern.«

So schmal das Büchlein ist, der thematische Bogen ist weit gespannt. Prashad stellt die »westlichen« Gesellschaften als im Niedergang begriffen dar und erläutert, warum die rechten Parteien nicht das ganz andere des Liberalismus sind, sondern dessen Konsequenz. Die Gegenwartsdiagnose führt zu der Frage, wie das Vorhandene zu dem wurde, was es ist. Prashad begreift die Geschichte des Westens als eine von Kolonialismus, Imperialismus und Neokolonialismus. Am Beispiel Indiens stellt er dar, wie die Kolonialmacht so viel aus dem Land herauspresste, dass Großbritannien für etwa ein Jahrhundert führende Weltmacht war. Er zitiert die Wirtschaftswissenschaftlerin Utsa Patnaik, die für die Zeit bis 1938 die Summe von 45 Billionen Dollar (in heutigen Preisen) errechnet hat.

Im Text verstreut finden sich wichtige Themen und Erkenntnisse. Prashad thematisiert etwa, wie die bestehende Gesellschaft Vereinzelung organisiert. Über den Zusammenhang der Pandemie hinaus schildert er, wie der erste Fernseher, dann der zweite und dann das Smartphone Familienzusammenhänge zerstörten – ohne zu vergessen, dass neue Kommunikationsmaschinen neue Verbindungen herstellen. Prashad begreift die kapitalistische Gesellschaft als grundsätzlich gewaltsam, allein schon weil sie den nicht Kaufkräftigen die nötigen Güter verwehrt, die zu produzieren doch möglich ist. Als gewalttätig ruft sie unvermeidbar Gegengewalt hervor.

Prashad wendet sich freilich gegen spontane Riots. Linke Politik soll fortschrittliche Zusammenhänge aufbauen. Dazu braucht es ein Geschichtsbild, das trotz aller Niederlagen die eigenen Erfolge nicht vergisst. Bestehenden sozialistischen Staaten gegenüber fordert Prashad eine grundsätzlich solidarische Haltung. Tendenzen eines »westlichen Marxismus«, der sich auf kritische Kritik beschränkt und an linker Praxis in Vergangenheit und Gegenwart nur das nicht Erreichte bemängelt, erteilt er eine klare Absage.

Der zentrale Punkt ist für ihn die Praxis. »Der Prozess des Kampfes ist ein Prozess der Vermenschlichung«, heißt es, und im Kampf lerne man, »ein besserer Mensch zu werden«, sich etwa von patriarchalischen und homophoben Ideologien zu befreien. Diese Position beeindruckt erneut durch einen ungewohnten Optimismus und vor allem, weil sie gegen die maulenden Theoretiker gerichtet ist, die alles verdammen, wenn nicht alle Ideale sofort verwirklicht sind. Zugleich aber, ließe sich einwenden, verhärtet der Kampf, kann blind machen. Eine teilweise Blindheit kann aber sogar notwendig sein, um sich auf das nächste Ziel zu konzentrieren. Der Kampf bedeutet immer auch Verluste, und erprobte Kämpfer sind nicht immer die angenehmsten Zeitgenossen. Wer auch diesen Widerspruch durchdrungen hat, ist gegen Enttäuschungen gewappnet und kann die bevorstehende Etappe der Kämpfe und Auseinandersetzungen angehen.

Vijay Prashad im Gespräch mit Frank Barat: Kampf macht uns menschlich. Von sozialistischen Bewegungen lernen. Mangroven, Kassel 2025, 124 Seiten, 26 Euro

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