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Aus: Ausgabe vom 08.09.2025, Seite 10 / Feuilleton
Landlust

Berufkraut

Aus der Provinz
Von Jürgen Roth
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Erigeron annuus ist nun auch in den Rothschen Rabatten zu Hause

Mir platzte die Hutschnur. Ich hatte gedacht, der Messias, um den sich allem medialen Anschein nach die gesamte bekannte Welt dreht, der Praeceptor mundi, diese aufgeblasene Inkarnation der Fehlleistung in Permanenz, sei endlich weg und halte ein für allemal sein arrogantes Maul. Dann jedoch tauchte ein Instagram-Video auf, in dem der degoutante Kitschier darüber schwadronierte, er habe etwelches »gedanklich zusammengeführt«, und daher wolle er »einen neuen Weg gehen«, hinein in »diese Offenheit«, und die »ist das, was ich jetzt will«, um »Luft unter die Flügel« zu kriegen.

Vielleicht will zum Beispiel ich, dass ihm mal jemand den Rand mit feuerverzinktem Draht zunäht? Bewahre! Die, um mit Karl Kraus zu maunzen, Pressemafia apportierte kübelweise Schleim. Tagesspiegel: »Ist er zu klug für die Politik?« Schlagzeile der Zeit: »Schade!« Süddeutsche Zeitung: »Seine Verdienste werden von vielen unterschätzt.«

Mir wurde übel, und ich holte aus dem Keller einen Schnaps. Die schöne Frau verrichtete derweil nützliche Tätigkeiten, tut sie gerne.

Nun machte ich den nächsten Fehler. Ich sah mir die Sendung von Markus Lanz an. Da hockte dieser gigantisch würdelose Sack (Das deutsche Volk hat mich nicht verdient!), dieser Komplettscheiterer und Leberwurstler mit erheblichen Kognitionsdefiziten, und stammelte und stotterte und eierte einen kaum je vernommenen Müll zusammen. Er wolle »den Horizont erweitern« (der Horizont suche Deckung!) und »außerhalb des Erwartungsraum agieren«, um »eine politische Idee von politischer Kultur in Deutschland mitzuformen, vielleicht zu prägen« (eine politische Idee von politischer Kultur? Wow!).

Diesem Mann, dem Größten, dem Woller, ist alles zu klein. »Ich will eine neue Geschichte«, verkündete der eingebildete Gemeinschaftsführergockel und sinnierte über, wörtlich, »eins der großmöglichst erwartesten Opfer«, nämlich den Russen im Felde totzuschießen.

Jetzt bekam ich einen Brüllanfall. Die schöne Frau pfeilte daraufhin die Treppe hinauf, betrat das Computerzimmer und schritt ein: »Es langt mit diesem Schwachkopf! Schluss damit! Wir müssen uns um das Berufkraut kümmern!«

Richtig. Eine meiner Schwägerinnen hatte mich darauf hingewiesen, dass sich das Berufkraut im Garten ungebührlich geriere, also saumäßig ausbreite. Das Berufkraut sei ein schweinischer Neophyt, der unerbittlich bekämpft und vollständig niedergerungen werden müsse.

Der Korbblütler, welcher auch Feinkraut genannt wird, schaut hübsch und harmlos aus, ich hatte ihn bis dahin für eine florale Bereicherung gehalten. Eine »Recherche« ergab allerdings das: »Ursprünglich ist Erigeron annuus in Nordamerika vom kanadischen südlichen Neufundland und Labrador, Nova Scotia, Prince Edward Island, New Brunswick, Ontario sowie Québec bis zu den US-Bundesstaaten Connecticut, Indiana, Maine, Massachusetts, Michigan, New Hampshire, New Jersey, New York, Ohio, Pennsylvania, Rhode Island, Vermont, West Virginia, Illinois, Iowa, Kansas, Missouri, Nebraska, Oklahoma, South Dakota, Wisconsin, Alabama, Arkansas, Delaware, Texas, Kentucky, Louisiana, Maryland, Mississippi, North Carolina, South Carolina, Tennessee, Virginia, Georgia bis zum nördlichen Florida weitverbreitet« – und endlich auch, den habeckischen Globalisierungen sei Dank und dem Trumpschen Isolationismus zum Tort, in den Rothschen Rabatten.

Das Berufkraut hatte unterdessen den halben Garten erobert. Wir rupften die Ungetüme brutalstmöglich aus und beschimpften sie inbrünstig. Die Blumenbeete sehen seither wieder schick aus, »friedlich«, meint die schöne Frau.

Der Haufen unbotmäßigen Gezüchts im Hof war exorbitant. Laut Internet ist die Verbrennung angezeigt, um eine neuerliche Aussaat zu unterbinden. Ich war Feuer und Flamme und suchte in der Garage nach dem Brennspiritus, bis mir einfiel, dass wir danach einen Grillplatz auf dem Pflaster hätten bewundern können.

Deshalb kappten wir die Blütenstände, füllten mit ihnen die Biotonne und spritzten den Hof ab, auf dass die Samen in der Verdammnis des Gullys schmorten.

Folgenden Tages erhielt ich eine Mail von Freund Kapielski. Er informierte mich über eine »Kunstaktion« im Karlsruher Schlosspark, im Rahmen des »Projekts« City of Media Art. Karlsruhe gehört umgehend eingestampft, soviel is’ klar.

Ein Frankfurter Künstler – Frankfurt, logisch – hat ein »Radical Climate Action Bird« entwickelt, »eine solarbetriebene Musikanlage«, die bis zum 14. September täglich antifaschistische Kampfgesänge emittiert, um die ansässigen Vögel zur Nachahmung zu bewegen – »ein kleines weltanschauliches Schulungszentrum«, wie die Taz begeistert schrieb.

Nun hätte man dem Frankfurter »Künstler« stecken können, dass in der Mauser und im Herbst außer eventuell dem Rotkehlchen kein heimischer Vogel singt, nicht mal in Karlsruhe. Star und Amsel, die Meister der Mimesis, sind weggezogen oder verkriechen sich. Geradezu grässlich aber ist, dass diese aktivistischen Irren in ihrem Drang zur Infiltration, Manipulation und Abrichtung nicht einmal mehr vor der Kreatur haltmachen und das Vermögen des gesanglichen Spiels, das »Für-sich-selbst-Berechtigte« (Marx, »Grundrisse«) der Natur in Dienst zu nehmen und für Propaganda zu instrumentalisieren trachten.

Die Kommentare in der Taz waren zu Recht empört (»ernster Missbrauch«, »nicht mal vor der Antifa haben sie nun ihre Ruhe«). Ich ging auf Youtube und suchte einen Song von Queen raus: »Spread your little wings and fly away.«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (8. September 2025 um 13:25 Uhr)
    Gibt es in Neuendettelsau kein Roundup? Hier in Nordfriesland kann ich beobachten, wie nach Glyphosat vor der Maissaat einen halben Meter weg vom Maisacker das indische Springkraut ins Kraut schießt, zwischen den Maispflanzen: Nix.

Regio:

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