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Aus: Ausgabe vom 08.09.2025, Seite 10 / Feuilleton
Pop

Träume finden, Träume leben

Beinahe ein Meisterwerk: »Euro-Country«, das neue Album von CMAT, ist draußen
Von Frank Schwarzberg
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Hymnischer Breitwandpop, subversiv gedacht: Ciara Mary-Alice Thompson

Als ungewaschene Version von Taylor Swift bezeichnete sich die irische Musikerin Ciara Mary-Alice Thompson aka CMAT einmal bei einem Konzert. In Irland landeten ihre ersten beiden Alben prompt auf Platz eins. Live spielt sie jeden Song volle Pulle, als wäre es die letzte Zugabe.

Der Titel des zweiten Albums »Crazy­mad, For Me« (2023) ist eine Anspielung auf den klischeetriefenden 80er-Popsong »Morning Train (9 to 5)« von Sheena Easton. CMAT deutete da schon an, was sie auf ihrem neuen Album »Euro-Country« in großem Stil zur vorläufigen Vollendung führt: hymnischen Breitwandpop, subversiv gedacht.

Der im Dubliner Satellitenstädtchen Dunboyne aufgewachsenen Künstlerin ist es ernst. Für ein Albumcover wie dieses wurde die LP erfunden, alles daran ruft »Gemälde« und »groß«. Die Vorlage lieferte Jean-Léon Gérômes »La vérité« (1896, Die Wahrheit steigt aus dem Brunnen). Hier ist es CMAT, die dem Brunnen im seelenlosen Blanchardstown Shopping Centre (Treffpunkt ihrer Jugend) entsteigt, neben sich eine überdimensionierte Euro-Münze auf Beinen. Die Stilisierung ist gewollt kitschig und anspielungsreich. Im Video zum Titelsong »Euro-Country« tanzt Thompson vor Filialen von zwei Geschäftsketten, die im Frühling schließen mussten.

Das Lied ist ein unverschämt eingängiger Ohrwurm, zulaufend auf die Zeilen kurz vorm letzten Refrain: »I was twelve when the das (die Väter) started killing themselves all around me.« Sie singt nicht über das Postkartenirland, sondern über das ihrer Generation nach der Finanzkrise, dem Kollaps des Celtic Tiger und dem darauf folgenden EU-Austeritätsdiktat. Der Satz ist statistisch belegt: Zwischen 2008 und 2012 stieg die Selbstmordrate von Männern stark. Hinzu kommen Leerstände von gut 100.000 Häusern, ein rasanter Anstieg der Zahl obdachloser Familien zwischen 2014 und 2021. Die irische Autorin und Theaterhistorikerin Emer McHugh schreibt anlässlich von »Euro-Country« im Guardian: »Seit 2008 kenne ich niemanden in Irland, der nie Finanzsorgen hatte, nie längere Perioden arbeitslos war oder sich dazu gezwungen sah, wegen katastrophal hoher Mieten wieder bei den Eltern einzuziehen, mich eingeschlossen.«

Die zwölf Songs des Albums streifen auch andere Themen: Beziehungsschmerz, klar, Bodyshaming, den Tod von Freunden und die ohnmächtige Wut darüber. Alle Songs durchzieht, oft in euphorischen Mitsingmelodien (nur Doppelalbumseite C fährt die Dynamik etwas runter), eine tiefe Traurigkeit, nicht allein über die ökonomische Misere, sondern über ein entfremdetes Leben. Die Lieder und CMATs Stimme schreien nach Verbundenheit und einer humanistischen Perspektive. Immerhin: Es könnte besser sein, heißt es einmal, wenn wir hartnäckig bleiben. McHugh nennt im Guardian an Zulauf gewinnende Organisationen wie CATU, die praktische Wohnungsarbeit und Proteste organisieren.

Wenn manche Melodie etwas weniger simpel wäre, wäre »Euro-Country« ein Meisterwerk. Doch fantastisch produziert und gesungen, toll getextet und gelungen in der Umsetzung seines ambitionierten Anspruchs ist dieses große Album allemal. »Meet me behind the mall«, sang Taylor Swift 2020. Pop als Subversion: In CMATs Irland sind diese Orte jeder Illusion beraubt. Die Träume müssen woanders gefunden werden. CMAT sagt die Wahrheit.

CMAT: »Euro-Country« (AWAL Recordings)

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