Hände weg von unserer Stadt!
Von Pierrot Brotons, Mailand
Nach der Räumung des autonomen Zentrums »Leoncavallo« am 21. August haben sich am Sonnabend Zehntausende Menschen in Mailand zusammengefunden, um gegen die Entscheidung des Innenministeriums zu protestieren. Marina Boer führte den Protest mit ihrem Verein »Antifaschistische Mütter von Leoncavallo« ins Zentrum der norditalienischen Stadt an und erklärte, dass die Demonstration nicht nur eine Reaktion auf die Räumung, »sondern ein Aufruf zur Anerkennung des Platzbedarfs in einer Stadt wie Mailand« sei. Ihr folgten Gewerkschaften, Kollektive und Vertreter sozialer Bewegungen. Zu den mitlaufenden Politikern zählten der Vorsitzende der Italienischen Linken, Nicola Fratoianni, Alessandro Capelli vom sozialdemokratischen Partito Democratico sowie Primo Minelli, Mailänder Präsident der Nationalen Vereinigung italienischer Partisanen (ANPI). Die Forderung »Hände weg von unserer Stadt« zierte das Frontbanner, gerichtet gegen die Herren der Stadt: »Contro i padroni della città«.
Begleitet von Gesang und Musik verlangten die Demonstrierenden ein neues Modell der Städteplanung, das für die Menschen gemacht wird, die dort leben und arbeiten. Orte wie das Leoncavallo geben den Vierteln ihre Bedeutung. Hier werden Sprachen gelernt und ausgetauscht, Bücher vorgestellt, Konzerte veranstaltet, Theaterstücke aufgeführt und vieles mehr. Die Einwohner kämpfen dafür, die Stadt wieder in öffentliche Hände zu überführen. Die fortschreitende Gentrifizierung vertreibt Anwohner in die Peripherie, weil Bau und Umbau von Immobilien der Spekulation von Konzernen unterliegen. Einige Aktivisten veranstalteten dagegen eine symbolische Demonstration auf der »Pirellone«-Baustelle, einem der Orte, die im Zentrum städtebaulicher Ermittlungen stehen und zum Besitz des Immobilienmoguls Manfredi Catella gehören.
Im Gespräch mit jW betonten Teilnehmende die Bedeutung öffentlicher sozialer Räume: »Autonome Zentren schaffen Kultur und Zusammenhalt. Sie geben eine Antwort auf die Bedürfnisse der Anwohner. Sie sind unverzichtbar.« Andere erzählten von deren gesellschaftlicher Bedeutung: »In den 80er Jahren war das Leoncavallo eine Festung gegen die Mafia und ihre Drogengeschäfte. Es war unser Zuhause. Ein Ort, an dem niemand anders ist, wo keine Nationalitäten und keine festgefahrenen Geschlechterrollen existieren. Wir waren dazu bereit, unsere Würde und Rechte zu verteidigen.« Viele wünschen sich eine Veränderung für Mailand: »Ich bin heute hier, um mich für eine inklusive Stadt einzusetzen. Davon sind wir heute noch weit entfernt. Es wird kaum über Armut, Diversität oder Rassismus gesprochen. Ich wünsche mir eine Stadt, die nicht nur an Profit oder Wirtschaft denkt.« Die Leidenschaft der Demonstrierenden war spürbar: »Das Leoncavallo ist ein Teil meines Lebens. Es war eine Anlaufstelle für Soziales. Und ist es bis heute. Heute ist nicht der Zeitpunkt, an dem seine Geschichte aufhören wird.«
Kritik an den Protesten kam erwartbar von jenen, gegen die demonstriert wurde. So echauffierte sich Konzernchef Catella über die »gewalttätigen Demonstrationen mit illegalen Aktionen und die unbefugten Besetzungen«, wie seine Pressestelle mitteilen ließ. Auch Italiens ultrarechte Premierministerin Giorgia Meloni sprach auf X von »inakzeptablen Beleidigungen« gegenüber ihrem für die Räumung verantwortlichen Innenminister Matteo Piantedosi. Solidarität bekundete sie wiederum mit den Polizeikräften, die »Eierwürfe, Feuerwerkskörper und Beleidigungen von Gegnern erdulden mussten«.
Die rund 50.000 Menschen haben jedoch gezeigt, dass ihre Antwort auf staatliche Gewalt Lust und Freude am Weitermachen sind. Bei der Ankunft des Demozugs am Mailänder Dom wurde gemeinsam getanzt, gefeiert und skandiert, während Touristen erstaunt Fotos schossen. Wie es mit den Aktivitäten des Zentrums weitergeht, wird sich zeigen. Seine 50jährige Geschichte beweist jedoch, dass sich Mitglieder und Anhänger nicht ohne weiteres niederringen lassen. Vom ebenfalls besetzten Sozialzentrum Lambretta hieß es in einer solidarischen Botschaft: »Leoncavallo ist unantastbar. Wir sind die Stadt gegen die Bosse, gegen die Politik der Sicherheitskontrolle, gegen Spekulation und Zwangsräumungen. Mailand wird nicht verkauft – es wird verteidigt werden.«
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Größter Angriff seit 2022
vom 08.09.2025 -
Botschaft für Palästina
vom 08.09.2025 -
»Unsere Völker haben auch Genozid erlebt«
vom 08.09.2025 -
Hunderte »Terroristen«
vom 08.09.2025 -
Zweckbündnis in Bangkok
vom 08.09.2025 -
Ishiba geht
vom 08.09.2025