»Unsere Völker haben auch Genozid erlebt«
Interview: Thorben Austen, Quetzaltenango
Angriffe auf Zivilisten, Morde an Journalisten, Hunger als Kriegswaffe: Davon sind die Nachrichten zur Situation in Gaza geprägt. Wie positionieren sich lateinamerikanische Regierungen in dieser Situation?
Es gibt Regierungen, die sehr deutlich Stellung beziehen und mit dem Abbruch diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen zu Israel klar handeln. In erster Linie würde ich hier Gustavo Petro in Kolumbien nennen, auch die Regierungen von Kuba, Nicaragua und Venezuela. Unsere Regierung von Claudia Sheinbaum verhält sich leider sehr ängstlich, hat bisher keine Taten gezeigt. Verschiedene israelische Unternehmen sind im Land aktiv. Auch haben wir Probleme mit der Lokalregierung hier in Mexiko-Stadt: Sie wollte große Wandgemälde in Solidarität mit Palästina nicht dulden. Das ist auch einer der Gründe, warum wir seit dem 16. August hier im Zentrum der Hauptstadt ein permanentes Protestcamp errichtet haben.
Welche Aktionen gehen von diesem Camp aus?
Am Dienstag haben wir im Rahmen dieses Protestes den Platz als Plaza Palestina Libre (Platz freies Palästina, jW) deklariert. Es ist ein Platz des Widerstandes geworden, der kulturellen und politischen Aktivitäten. Als Bewegung fordern wir von der mexikanischen und den anderen Regierungen Lateinamerikas den Abbruch der ökonomischen, politischen, kulturellen und vor allem militärischen Zusammenarbeit mit Israel. Zu den Regierungen, die am stärksten Israel unterstützen, gehören Argentinien unter Javier Milei, aber auch Ecuador und Peru.
Unabhängig von den Regierungen ist die Solidaritätsbewegung mit Palästina in Lateinamerika relativ stark. Immer wieder gibt es große Proteste. Was treibt die Menschen auf die Straße?
Unsere Völker, speziell die ursprünglichen Völker des Kontinents, haben auch Genozid erlebt. Den Völkermord während der Conquista, aber auch noch später zum Beispiel in Guatemala. Was dort im Bürgerkrieg geschah, der Versuch der Ausrottung ganzer Volksgruppen, das ist zu vergleichen mit dem, was in Gaza geschieht. In Gaza soll die Bevölkerung ermordet oder vertrieben werden, um dort exklusive Wohnviertel für reiche Zionisten zu bauen. Ähnliches, wenn auch kleiner, erleben viele Menschen hier: Vertreibungen durch Megaprojekte, Landraub, Morde.
Was muss die Bewegung tun, um stärker Einfluss auszuüben?
Sie muss sich noch stärker international vernetzen, so wie es die Imperialisten auch tun. Die Völker wollen in Frieden leben, sie wollen keine Kriege mehr, alle Mauern und Grenzen müssen fallen. Wir als Bewegung in Mexiko unterstützen zum Beispiel die weltweite Bewegung »Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen«, kurz BDS. Bei der aktuellen Solidaritätsflotte, die Lebensmittel nach Palästina bringen will, sind auch sechs Menschen aus Mexiko mit an Bord.
Es heißt, Israel habe besonders undemokratische Regime in Lateinamerika unterstützt. Was können Sie dazu sagen?
Israel hat politische und militärische Unterstützung zum Beispiel für Kolumbien und Guatemala in den Bürgerkriegen geleistet, in Chile nach dem Putsch von 1973. In Kolumbien wurden die extremsten paramilitärischen Gruppen von israelischen Militärs ausgebildet, Guatemala erhielt noch Waffen aus Israel, als die Unterstützung wegen des öffentlichen Drucks von seiten der USA ausblieb. Ich glaube aber nicht, dass dies nur eine Sache der Vergangenheit ist. Es gibt einen Plan der Militarisierung und Paramilitarisierung auf dem Kontinent, an dem auch israelische Kapitalisten beteiligt sind. Ein Beispiel ist die angestrebte Wasserprivatisierung durch ein israelisches Unternehmen in Argentinien.
Die Palästina-Solidaritätsbewegung in Europa und insbesondere in Deutschland ist immer wieder mit Polizeigewalt und Antisemitismusvorwürfen konfrontiert. Wie ist das in Lateinamerika?
Ich denke, das Problem ist in Europa und vielleicht besonders in Deutschland ausgeprägter als hier. Es gibt aber auch in Mexiko Polizeigewalt gegen Demonstrationen und Antisemitismusvorwürfe. In manchen Medien oder von prozionistischen Gruppen heißt es, wir seien Rassisten oder das Antlitz des Terrorismus.
Daniela Gonzáles ist aktiv in der Plataforma Común por Palestina in Mexiko und Teil des Netzwerkes Abya Yala Soberana
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