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Stagnativer Kapitalismus

Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs
Von Lucas Zeise
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Ab Januar soll die Mehrwertsteuer auf Essen und Trinken im Gasthaus von 19 Prozent auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent gesenkt werden. Ich halte das für eine gute Nachricht, obwohl ich altersbedingt bei weitem nicht mehr soviel Bier trinke wie früher, geschweige denn auswärts esse.

Nehmen wir mal an, die Gastronomie gibt die Hälfte der gesparten Kosten an die Kunden weiter und nutzt die andere Hälfte, um besser über die Runden zu kommen, so ergibt sich in jedem Fall doch ein kleiner »fiskalischer Impuls« für die Volkswirtschaft als Ganzes, der von den etwa 3,5 Milliarden Euro jährlichen Steuermindereinnahmen ausgeht. Denn, wie die Wirtschaftsforschungsinstitute immer wieder betonen, der Konsum in Deutschland liegt darnieder, weil die Verbraucher knapp bei Kasse sind.

Einige Institute haben am Donnerstag neue Konjunkturprognosen vorgelegt. Sie sind – wenig überraschend – für das laufende Jahr sowie 2026 und 2027 ziemlich pessimistisch ausgefallen. Der Pessimismus ist nachvollziehbar, aber im einzelnen auch rätselhaft. Einerseits stellen sie korrekt und kritisch fest, dass der »fiskalische Impuls«, also die Mindereinnahmen oder Mehrausgaben des Staates, geringer ausfallen werde als erwartet, weil die Regierung die im Koalitionsvertrag versprochene Stromsteuersenkung für den gemeinen Verbraucher (anders als die Mehrwertsteuersenkung für Gastronomen) nicht vornimmt.

Sie befürchten auch, dass die groß angekündigten schuldenfinanzierten Mehrausgaben für die Infrastruktur nicht wirklich untergebracht, das heißt als Aufträge an die Industrie vergeben werden können. Andererseits warnen sie vor einem durch Regierungsaufträge entfachten »Strohfeuer«, das nicht zu dauerhaftem Wachstum, geschweige denn zu höherer Produktivität führen werde.

Seine Leute hätten untersucht, berichtete laut FAZ Timo Wollmershäuser vom Münchner Ifo-Institut, um wieviel der Staat insgesamt in den vergangenen Jahrzehnten seine Investitionen von einem Jahr auf das nächste gesteigert habe. Der höchste Zuwachs habe nur zehn Milliarden Euro betragen. Das ist genau der Betrag, der in die tolle und nun doch nicht realisierte Investition des US-amerikanischen Chipfabrikanten Intel in Magdeburg zugeschossen werden sollte.

Schlussfolgerung: Aus der schlechten Angewohnheit ungenügender staatlicher Infrastrukturinvestition gibt es keinen Ausweg. Dazu präsentieren die Wirtschaftsforscher die gespenstische Größe des »Produktionspotentials«. Es wird auf wenig mehr als null Prozent geschätzt. Wenn Staatsaufträge auf nicht hinreichende Kapazitäten stoßen – zum Beispiel nach Jahren der Stagnation im Tiefbau –, werde das zu höheren Preisen führen.

So wird tatsächlich argumentiert. Dass kapitalistische Unternehmer vielleicht, angeregt von den Staatsaufträgen, die Kapazitäten, also das Produktionspotential, erhöhen, gilt den Herren Wirtschaftsforschern als vollkommen ausgeschlossen. Wenn man ihnen glauben wollte, stirbt der Kapitalismus am Ende ja doch von selbst. Jedenfalls in Deutschland.

Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen

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Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen.

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