Ursachensuche in Lissabon
Von Fabian Linder
Der Schock sitzt tief. Tage nachdem in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon ein Zug der bei Touristen beliebten Standseilbahn Elevador da Glória verunglückt war, legten Trauernde nahe der Unglücksstelle zwischen der Avenida da Liberdade und dem zentral gelegenen Restauradores-Platz Blumen ab. Das Unglück traf Menschen unterschiedlicher Nationalität. Die Zahl der Todesopfer stieg inzwischen auf 16. Hinzu kommen mehr als 20 teils schwer Verletzte.
Die meisten der portugiesischen Toten sollen Medienberichten zufolge Beschäftigte einer nahegelegenen katholischen Gesundheitsfürsorge gewesen sein. Als Reaktion auf das Unglück ordnete die städtische Betreibergesellschaft Carris die Schließung weiterer Anlagen und Aufzüge an, um Kontroll- und Wartungsarbeiten vorzuziehen. Für Donnerstag wurde landesweit Staatstrauer angeordnet, in Lissabon wehen die Fahnen ganze drei Tage auf Halbmast.
Unterdessen haben die Ermittlungen zu Unfallhergang und -ursachen begonnen. Erste Vermutungen gehen von einem Bruch des Stahlseils aus, das die beiden abwechselnd fahrenden Bahnen verbindet. Der nach unten fahrende Wagen sei dadurch ungebremst hinabgeschnellt, schließlich in einer Kurve entgleist und umgestürzt. Wie die portugiesische Zeitung Observador berichtet, habe es noch am Morgen vor dem Unglück eine Überprüfung gegeben, die der Anlage die Voraussetzungen für den Betrieb bescheinigte.
In einer ersten Mitteilung verwies die Betreibergesellschaft auf die Einhaltung der regelmäßigen Wartungsintervalle und Zwischenreparaturen. Auch die monatlichen und wöchentlichen Instandhaltungsarbeiten sowie täglichen Inspektionen seien ordnungsgemäß durchgeführt worden. Pedro de Brito Bogas, Präsident des Unternehmens, kündigte eine interne Untersuchung an. Man werde mit allen ermittelnden Stellen kooperieren.
Die Beschwichtigungsversuche von Seiten Carris’ wurden kritisch aufgenommen. So wurde unter anderem die durch Bürgermeister Carlos Moedas von der regierenden konservativen Partido Social Democrata (PSD) versuchte Privatisierung des Unternehmens und der Lissabonner Metro angeprangert. Gegenüber dem Radiosender RTP sagte Fernando Branco vom Institut für Maschinenbau in Lissabon zudem, dass es unmöglich sei, in einer halbstündigen Tagesinspektion einen potentiellen Seilermüdungsbruch zu erkennen.
Der Verband der Transport- und Kommunikationsgewerkschaften Fectrans sprach den Opfern des Unglücks und deren Familien seine Solidarität aus. Eine gründliche Untersuchung der Ursachen müsse sich auch auf die Entscheidungen des Carris-Managements beziehen, Wartungsarbeiten auszulagern. Zudem sei nicht auf Beschwerden der Beschäftigten wegen möglicher Störungen der Anlage gehört worden, so Manuel Leal, Vorsitzender des Gewerkschaftsverbands.
Nach Aussagen der Arbeiter habe es Probleme bei der Zugseilspannung gegeben, daher sei das Bremsen erschwert gewesen. João Ferreira, Kandidat der portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) im Lissaboner Stadtparlament, äußerte sich am Donnerstag vor Ort ebenfalls kritisch zur Entscheidung, die Wartung auf externe Dienstleister zu übertragen. Weil es in der Vergangenheit bereits Mängel und Probleme gegeben habe, solle die Wartung wieder den Beschäftigten überlassen und dafür ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Schon bei einer Entgleisung der Seilbahn im Jahr 2018 wegen verschlissener Räder sei ein »schwerwiegender Wartungsmangel« die Ursache gewesen, wie die Zeitung Público berichtet. Darüber hinaus gebe es Kritik vom Amt für die Verhütung und Untersuchung von Flugzeug- und Eisenbahnunfällen, das den jüngsten Vorfall untersucht. Demnach gibt es wegen Personalmangel im ganzen Land lediglich einen einzigen Inspektor für diesen Bereich.
Nach den forensischen Untersuchungen der Kriminalbehörden begannen die Aufräumarbeiten am Unglücksort, die erst in den frühen Morgenstunden am Freitag abgeschlossen waren. Für den späten Freitag nachmittag nach jW-Redaktionsschluss war eine gemeinsame Pressekonferenz von Ermittlungsbehörden und Carris angekündigt, wo weitere Einzelheiten zum vorläufigen Ermittlungsstand bekanntgegeben werden sollten.
Neben Auswirkungen auf den Tourismus vor Ort dürfte das Unglück nun auch den Kommunalwahlkampf in der Hauptstadt bestimmen. Bei den am 12. Oktober stattfindenden Wahlen um das Amt des Bürgermeisters und die Zusammensetzung des Stadtparlaments versucht Alexandra Leitão vom sozialdemokratischen Partido Socialista (PS) Amtsinhaber Moedas abzulösen.
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