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Aus: Ausgabe vom 06.09.2025, Seite 8 / Ansichten

Unberechenbarer Westen

Umbrüche in der Weltordnung
Von Arnold Schölzel
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Seit dem Treffen in Anchorage stieg »Sicherheitsgarantie« zum politischen Schlüsselbegriff im Westen auf. Was er bedeuten soll, ist allerdings unklar. London, Paris, Berlin und Brüssel beziehen ihn allein auf die Ukraine. Was die »Koalition der Willigen« am Donnerstag dazu ablieferte, war entsprechend »grotesk und gefährlich«, wie Reinhard Lauterbach am Freitag an dieser Stelle kommentierte. Die EU- und NATO-Europäer folgen dem seit Ende der Sowjetunion geltenden NATO-Grundsatz, Russland habe keine Sicherheitsinteressen zu haben. Trump setzte mit dem Alaska-Gipfel zwar ein Zeichen dagegen und erklärte faktisch den NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine für verloren, seitdem aber herrscht wieder Unbeständigkeit. Er genehmigte Kiew, weitreichende Waffen gegen Russland einzusetzen, obwohl er das – als Amtsvorgänger Biden im November 2024 es schon einmal gestatte hatte – als »sehr, sehr großen Fehler« bezeichnete. Russland antwortete damals mit dem ersten Einsatz der »Oreschnik«-Rakete.

Die Unberechenbarkeit westlicher Politik ist nicht nur Anzeichen für Verlust von Vorherrschaft, sondern auch Ausdruck imperialistischer Gewohnheit: Für die heute »globaler Süden« genannten Länder und Nationen galt das sich im neuzeitlichen Europa herausbildende Völkerrecht nie, von Menschenrechten zu schweigen. Das änderte sich durch das Entstehen der Sowjetunion nach 1917 und nach dem Niederringen der Versuche des deutschen und des japanischen Imperialismus, sich kontinentweite Kolonialreiche zu schaffen. Der Aufstieg Chinas und anderer Staaten in den vergangenen Jahrzehnten stellt nun aber die Auseinandersetzung mit den alten Kolonialmächten zum ersten Mal auf eine Schritt für Schritt stabiler werdende wirtschaftliche, politische und militärische Basis. Der strategisch geplante Aufstieg vollzog sich nach dem Ende der Sowjetunion 1991 parallel zu den permanenten neokolonialen Kriegen, die der Westen unter Führung der »einzigen Supermacht« seither führte.

Trump mag durch Unfug die Annäherung etwa Indiens oder Indonesiens an China beschleunigt haben, die Veränderungen im internationalen Kräfteverhältnis hängen aber nicht davon ab, wer im Weißen Haus sitzt, nicht einmal mehr von den USA. Die Westeuropäer haben sich durch ihre Hilfsdienste bei den US-Feldzügen seit 1991 und ihre Kolonialattitüde gegenüber Russland selbst ins politische Abseits befördert.

Am Freitag verbreitete Trump ein Bild, auf dem Putin, Xi und Modi in Beijing zu sehen sind, und schrieb dazu: »Es sieht so aus, als hätten wir Indien und Russland an das tiefste, dunkelste China verloren«. Unabhängig vom realen Gehalt: Militärisch, das hat Beijing in dieser Woche auch gezeigt, lassen sich solche Veränderungen nicht rückgängig machen. Gleiche, stabile Partnerschaften mit solchen Ländern wären für den Westen allerdings etwas Neues.

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