»Die Fabriken müssten Busse und Bahnen produzieren«
Interview: Gitta Düperthal
Das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC beteiligt sich unter dem Motto »Das Auto ist das Problem« an Gegenaktivitäten zur Internationalen Automobilausstellung IAA, die am Dienstag beginnt. Wird die Messe hauptsächlich Verbrenner präsentieren?
Nicht nur. Konzerne werden dort auch vermehrt Elektroautos und E-Bikes ausstellen. Mit diesen neueren Produkten betreibt die IAA Greenwashing: Sie versucht sich als nachhaltig darzustellen, obwohl sie es nicht ist. Für die Produktion der Batterien in diesen Verkehrsmitteln müssen die Konzerne vermehrt Lithium einsetzen. Dessen Abbau verursacht Umweltschäden, etwa Wasserknappheit, Bodenerosion und die Zerstörung von Lebensräumen. Menschen werden bei der Arbeit extrem ausgebeutet, zum Beispiel in Südamerika, Afrika oder auch in Serbien.
Wie werden Sie die Umweltschäden durch Lithiumabbau thematisieren?
Parallel zur IAA werden im Mobilitätswende-Camp im Luitpoldpark, mitten in München, serbische Aktivisten in einem ATTAC-Workshop berichten, wie die Natur durch den Lithiumabbau für Elektroautos in Serbien zerstört wird. Wir wollen aus unserem Camp heraus auch in den Dialog mit den Menschen vor Ort gehen, und diskutieren, wie wir uns solidarischere Mobilität vorstellen.
Sie monieren »allgegenwärtige und grüngewaschene Autozentriertheit«. Was ist damit gemeint?
Die IAA stellt trotz des Klimawandels das Auto immer weiter in den Mittelpunkt. Das ganze System, das sie vertritt, setzt nach wie vor nur auf Individualverkehr. Dieses System schließt aber viele Menschen aus, etwa weil sie sich die hohen Kosten für diese Mobilität nicht leisten können. In ländlichen Gebieten sind aber viele auf das Auto angewiesen, weil es dort unmöglich ist, sich in einem guten Netz öffentlicher Verkehrsmittel fortzubewegen. Auch im globalen Süden sind Menschen vom Autoverkehr weitgehend ausgeschlossen, obgleich ihre Ressourcen dafür ausgebeutet werden. Die IAA ist von einer Autolobby getragen, der es nur um den Profit mit immer größeren, schädlicheren Autos geht. Klimaneutralität ist ihr egal. Es geht nicht darum, neue solidarischere, nachhaltigere Mobilitätsformen zu entwickeln.
Ist die Lobbymacht der Autoindustrie in Bayern besonders groß?
Viele Autokonzerne, die bei der IAA ausstellen, haben hier ihren Sitz. Die Lobby dahinter nimmt in München immensen Platz ein, indem sie während der Messe auch in der Innenstadt an mehreren Orten Autos ausstellt. Diese Lobbys wirken ständig in die Stadt hinein. Sie beanspruchen mehr Platz für Parkplätze, Straßen- und Autobahnverkehr und drängen dabei Grünflächen zurück.
Wie müsste sich die Autoindustrie angesichts der großen Abhängigkeit vom Weltmarkt aufstellen?
Aus unserer Sicht ist ein großer Wandel in der Mobilität notwendig. Autofabriken müssten längst einen Transformationsprozess einleiten, Busse und Bahnen produzieren. Für einen solch unerlässlichen ökologischen Umbau aber tut die Autoindustrie nichts.
Die Bundesregierung belasse schwerwiegende Entscheidungen zur Mobilität bei privaten Konzernen und verschleppe die Verkehrswende, so Ihre Kritik. Was erwarten Sie?
Wir kritisieren die Subventionen der Bundesregierung für die Autoindustrie. Um die Arbeitsplätze der Automobilindustrie in eine klimafreundlichere Zukunft zu überführen, sollte sie in Umstellung der Produktion von Autos auf Busse und Schienenfahrzeuge investieren. Damit es einfacher wird, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.
Mit einer Ihrer Aktionen gab es Probleme mit dem Ordnungsamt – warum?
Wir hatten es vor zwei Monaten informiert, dass wir einen Dinosaurierkopf an einer Autokarosserie im See auf dem Messegelände versenken wollten – als Symbol für eine überkommene Autoindustrie. Am Freitag erhielten wir den Anruf: Das Umweltamt befürchte, diese Materialien könnten das Klima des Sees beeinträchtigen. Sie stellen jedoch gar keine Gefahr für die Umwelt dar. Das Aktionsverbot sehen wir als Einschüchterungsversuch an und werden juristisch dagegen vorgehen.
Noa Neumann ist Mitglied im Koordinierungskreis von ATTAC Deutschland
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