Nackenklatscher für Milei
Von Frederic Schnatterer
Es läuft alles andere als rund für Javier Milei. Am Donnerstag (Ortszeit) hat der Senat das Veto des argentinischen Präsidenten gegen ein Notstandsgesetz für Menschen mit Behinderungen endgültig aufgehoben. Deutlich mehr als die dafür benötigten zwei Drittel der Senatoren stimmten für die Aufhebung. Bereits im August hatte das Abgeordnetenhaus das Veto mehrheitlich abgelehnt. Es ist das erste Mal seit 22 Jahren, dass das argentinische Parlament das Veto eines Präsidenten überstimmt. Wie schon zur Abstimmung im August hatten sich vor dem Kongressgebäude im Zentrum der Hauptstadt Buenos Aires Tausende versammelt, darunter viele Familien mit behinderten Kindern. Sie brachen nach Bekanntwerden des Ergebnisses in Jubel aus. Das Notstandgesetz, das Milei nun unterzeichnen muss, sieht vor, die staatlichen Hilfen für Behinderteneinrichtungen anzuheben. Auch die Mindestrente für Menschen mit Behinderung soll leicht ansteigen. Trotzdem bleiben die Zahlungen äußerst gering.
Für den ultraliberalen Staatschef ist das Votum eine heftige Niederlage. Seit er Ende 2023 sein Amt angetreten hat, kürzt er die Sozialausgaben des Staates rigoros zusammen. So erreichte er binnen weniger Monate einen Haushaltsüberschuss, den er seitdem wie einen heiligen Gral vor sich her trägt. Jeglichen Vorstoß der Opposition, die Sozialausgaben auch nur minimal zu erhöhen, verteufelt Milei als Versuch, seine Regierung zu »destabilisieren«. Laut dem Haushaltsbüro des Kongresses würde das Inkrafttreten des Notstandsgesetzes für Behinderte zwischen 0,22 und 0,43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten.
Die Abstimmung vom Donnerstag zeigt: Milei, der sich zum Zeitpunkt der Abstimmung in den Vereinigten Staaten aufhielt, kann sich mittlerweile auch auf eigentlich Verbündete nicht mehr blind verlassen. Praktisch die gesamte Opposition stimmte im Senat gegen sein Veto, darunter viele Konservative. Ein Grund für ihr Stimmverhalten dürfte der laufende Wahlkampf sein; viele Abgeordnete werben mit der Abstimmung um Stimmen. Ein anderer liegt gewiss in dem Korruptionsskandal um die Präsidentenschwester Karina Milei. Sie verfügt als Generalsekretärin ihres Bruders und Vorsitzende der Regierungspartei La Libertad Avanza über viel Macht. Seit vergangenem Monat wird sie beschuldigt, hohe Schmiergelder für Aufträge bei der staatlichen Behindertenagentur Andis entgegengenommen zu haben.
Will Milei seinen Kahlschlagkurs fortführen, braucht er mehr Abgeordnete. Seine Partei, La Libertad Avanza, stellt im Abgeordnetenhaus nur 37 von insgesamt 257 Parlamentariern. Im Senat, der 72 Sitze zählt, sind es nur sechs. Um so dringlicher wäre ein Wahlerfolg bei den Teilwahlen des Parlaments Ende Oktober. Für das Abgeordnetenhaus wird dann die Hälfte, für den Senat ein Drittel der Parlamentarier gewählt. Die Wahl am Sonntag in der Provinz Buenos Aires, der bevölkerungs- und wirtschaftsstärksten des Landes, dürfte zu einem wichtigen Stimmungstest für den Präsidenten und sein ultraliberales Wirtschaftsprogramm werden.
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