Versicherte tragen die Lasten
Von Gudrun Giese
Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sind im ersten Halbjahr 2025 um fast acht Prozent gestiegen. Aber auch der Überschuss der rund neunzig Kassen ging enorm in die Höhe: 2,8 Milliarden Euro verbuchten sie von Januar bis Ende Juni.
Dass höhere Ausgaben gestemmt werden und zugleich die Überschüsse steigen, ist den Versicherten zu verdanken. Die müssen regelmäßig Beitragserhöhungen verkraften, vor allem beim Zusatzbeitrag, den sie allein, ohne Beteiligung der »Arbeitgeber«, aufbringen. Im Durchschnitt der Krankenkassen liegt diese Gebühr mittlerweile bei 2,9 Prozent zuzüglich zum allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns. Die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD will die Beiträge nach eigenen Angaben stabil halten. Dazu sollen Darlehen für 2025 und 2026 beitragen. Das Gesundheitsministerium hatte aber mehrfach darauf hingewiesen, dass das nicht ausreicht. Ministerin Nina Warken (CDU) zufolge klafft bei der gesetzlichen Krankenversicherung im kommenden Jahr ein Loch von vier Milliarden Euro, bei der Pflege sind es zwei Milliarden. Das System sei »ohne tiefgreifende Reformen nicht mehr zu finanzieren«, erklärte Waren am Freitag. Sie will noch in diesem Monat eine Expertenkommission einberufen, die zeitnah Vorschläge für Reformen erarbeiten soll, um die Beiträge ab 2027 zu stabilisieren.
Der Kostenanstieg um 7,95 Prozent auf 166,1 Milliarden Euro löste im ersten Halbjahr Alarmstimmung bei den Krankenkassen aus. Dass der Überschuss gleichzeitig deutlich gestiegen sei, solle niemanden beruhigen, erklärte Oliver Blatt, Vorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, laut dpa. Die Ausgabendynamik sei ungebrochen, was so nicht weitergehen dürfe. Der Überschuss werde gebraucht, um die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestreserven aufzufüllen. Die waren in letzter Zeit kräftig geschrumpft.
Den Löwenanteil an den GKV-Ausgaben tragen die Behandlungen in Krankenhäusern mit 54,5 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2025 bei, was einen Anstieg um 9,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum bedeutete. Niedergelassene Ärzte erhielten mit 27 Milliarden Euro 7,8 Prozent mehr Geld von den Krankenkassen, Pharmaindustrie und -handel bekamen sechs Prozent mehr, was 28,9 Milliarden Euro entsprach. »Solche Steigerungsraten hält kein Gesundheitssystem der Welt auf Dauer aus«, befand GKV-Chef Blatt. Verantwortlich für die rasant steigenden Kosten sei vor allem die Gesetzgebung. Zuvor bestehende Honorardeckel für viele ärztliche Leistungen und Preisbeschränkungen für Arzneimittel seien gelockert worden. Statt weiterer Beitragserhöhungen solle ein Ausgabenmoratorium vereinbart werden, forderte der GKV-Spitzenverband. Preise und Honorare dürften nicht mehr schneller steigen als die Einnahmen der Krankenkassen, so Blatt. Ausgenommen davon seien inflationsbedingte Preissteigerungen und Erhöhungen infolge von Tarifabschlüssen. Auch Leistungen müssten nicht gestrichen werden. Auf das Ausgabenmoratorium sollten dann die überfälligen Strukturreformen im Gesundheitswesen folgen, betonte der GKV-Mann. Die Versicherten müssten die Wirkung dieser Neuordnung im Alltag spüren, etwa durch schnellere Termine beim Arzt. Qualität solle erhalten bleiben. Eine Antwort darauf, wie das konkret aussehen könnte, blieb er schuldig. Im Mittelpunkt stand das Ziel, »wieder zu stabilen Finanzen« zu kommen.
Die seit langem von Sozialverbänden, Gewerkschaften und einigen Oppositionsparteien erhobene Forderung nach einer solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung findet hingegen bei Regierung und Lobbyverbänden keine Resonanz. Dabei könnte sie zur Senkung der Beitragssätze führen, wie etwa die Partei Die Linke wiederholt betont. In eine Bürgerversicherung würden alle gleichermaßen einzahlen, Spitzenverdiener, Beamte und Selbständige. Zudem müsste die Beitragsbemessungsgrenze angehoben werden. So könne ein gerechtes und leistungsfähiges Gesundheitssystem für alle geschaffen werden. Die Krankenversicherungsbeiträge würden um rund vier Prozentpunkte auf etwas über 13 Prozent sinken. Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen hätten mehr Geld in der Tasche, wodurch die Kaufkraft steige. Win-Win auf ganzer Linie.
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