Gewalt im digitalen Raum
Von Fabio Nacci, Modena
Als Elena* entdeckt, dass Bilder von ihr in der Facebook-Gruppe gelandet waren, bricht eine Welt für sie zusammen. »Ich wusste nicht, wo ich mich verstecken sollte«, erzählt sie gegenüber jW am Telefon. »Ich hatte das Gefühl, mein Körper gehört mir nicht mehr.« Die betreffende Gruppe hieß »Mia Moglie« (meine Frau) und zählte rund 32.000 Mitglieder. Hier teilten Männer intime Fotos von Partnerinnen und Freundinnen. Häufig wurden die Bilder von sexistischen und/oder abwertenden Kommentaren begleitet.
Elenas Geschichte ist kein Einzelfall: Jahrelang tolerierte die Plattform die Verbreitung der Inhalte. Erst nachdem die italienische Schriftstellerin Carolina Capria im August auf Instagram ihre Anzeige gegen Meta publik gemacht hatte und der öffentliche Druck zu groß geworden war, löschte das Unternehmen die Facebook-Gruppe. Für viele Betroffene ist das jedoch nicht genug. »Eine gelöschte Gruppe reicht nicht aus, um den Schaden wiedergutzumachen«, betont auch Elena. Hinzu kommt: Ende August erschütterte ein ähnlicher Fall Italien.
Diesmal wurde bekannt, dass in dem seit 2005 operierenden Internetforum »Phica.eu« rund 200.000 Nutzer Bilder von unbekannten wie bekannten Frauen, darunter Politikerinnen, teilten und sich daran ergötzten. Anders als bei »Mia Moglie« wurden Bilder auf Phica auch verändert, die Kommentare waren zudem gewaltverherrlichender. Und: In einigen Fällen verlangte der Administrator der Seite von Betroffenen sogar 1.000 Euro für die Entfernung der veröffentlichten Inhalte. In Italien ist die unbefugte Verbreitung sexuell expliziter Bilder oder Videos seit 2019 eine Straftat, die mit Freiheitsstrafen von einem bis sechs Jahren und Geldstrafen zwischen 5.000 und 15.000 Euro geahndet wird. Die Strafe kann erhöht werden, wenn das Verbrechen vom Ehepartner oder Lebensgefährten der abgebildeten Person begangen wird, oder wenn die abgebildete Person minderjährig ist oder eine Behinderung hat.
Laut der Zeitung Domani vom Dienstag hat die Polizei den Administrator mittlerweile ausfindig gemacht. Es handelt sich um einen italienischen Unternehmer und Besitzer einer Social-Media-Marketingfirma mit Wohnsitz in Florenz. Er soll bereits von den Ermittlern befragt worden sein. Eine Anzeige der Bürgermeisterin der Stadt, Sara Funaro, hatte den Stein ins Rollen gebracht – auch sie ist eine der Betroffenen. Die erste Reaktion anderer Frauen war eine Mischung aus Erleichterung und Frustration: Endlich ein identifizierbares Gesicht hinter der Seite. Und dennoch: Der emotionale und soziale Schaden ist irreversibel. Viele Frauen berichteten, wie die Gewalt im digitalen Raum ihren Alltag, ihre familiären und beruflichen Beziehungen verändert hat. Einige fürchten sich seither, das Haus zu verlassen, andere berichten von Schlaflosigkeit und ständiger Angst. Die digitale Zurschaustellung übersetzt sich in ein reales Trauma. In Interviews gegenüber italienischen Medien berichten die Frauen nicht nur von Misstrauen ihren Partnern gegenüber, sondern auch von Schwierigkeiten im sozialen Umfeld.
Nach Bekanntwerden der Straftaten ließen politische Reaktionen zunächst auf sich warten, dann meldete sich selbst die rechte Premierministerin Giorgia Meloni zu Wort. Die Opposition und einige Mitglieder der Regierungsmehrheit forderten eine Verschärfung der Gesetze gegen die unbefugte Verbreitung sexuell expliziter Bilder. Doch was in der politischen Debatte zu kurz kam, ist die soziokulturelle Analyse des Problems: Italien bleibt ein Land, in dem das Patriarchat regiert und soziale Rollen, Arbeit und Machtstrukturen beeinflusst – auch online. Digitale Gewalt ist die zeitgenössische Manifestation eines Systems, dessen Fundament die Kontrolle über den weiblichen Körper ist – das zeigt nicht zuletzt der besitzanzeigende Name der Facebook-Gruppe. Dabei machen es nicht nur ständige Um- und Neugründungen von Gruppen, sondern auch die soziale Architektur möglich, dass die Seiten ohne wirksame Kontrolle jahrelang florieren. Heute, mit laufenden Ermittlungen und der möglichen Eröffnung einer Sammelklage, fordern die Betroffenen mehr als eine Entschädigung oder die Stillegung der Seiten: Sie fordern eine gesellschaftliche Anerkennung des Schadens und vor allem einen kulturellen Wandel.
Aus Gründen der Anonymität wurde der Name von der Redaktion geändert
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