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Aus: Ausgabe vom 05.09.2025, Seite 7 / Ausland
Brasilien

Quo vadis Bolsonaro?

Brasilien: Im Putschprozess drohen dem ehemaligen Staatschef bis zu 43 Jahre Gefängnis
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
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Im Hausarrest: Rechtsaußen und mutmaßlicher Staatsstreicher Bolsonaro in Brasília (3.9.2025)

Es ist Halbzeit im lang erwarteten Prozess gegen Brasiliens ehemaligen ultrarechten Staatspräsidenten Jair Bolsonaro vor dem Obersten Bundesgericht (STF) in Brasília. Und es ist das erste Mal, dass in Brasilien ein hochrangiger Regierungsvertreter wegen eines mutmaßlichen Putschversuchs vor Gericht steht.

Die Generalstaatsanwaltschaft wirft Bolsonaro und sieben seiner engsten Mitarbeiter vor, sich nach der verlorenen Wahl 2022 fünf Straftaten schuldig gemacht zu haben: versuchte gewaltsame Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats (maximal acht Jahre Haft), versuchter Staatsstreich (12 Jahre), Beteiligung an einer bewaffneten kriminellen Vereinigung (17 Jahre), sowie schwere Sachbeschädigung von Bundeseigentum und Zerstörung von denkmalgeschütztem Kulturerbe (jeweils drei Jahre). Insgesamt drohen dem mutmaßlichen Putschisten damit 43 Jahre Gefängnis.

Mit auf der Anklagebank sitzen der ehemalige Direktor des brasilianischen Geheimdienstes, Alexandre Ramagem, der ehemalige Marinekommandant Almir Garnier, der Exjustizminister und -Landessicherheitsminister Anderson Torres, der ehemalige Leiter des Kabinetts für institutionelle Sicherheit und General, Augusto Heleno, Exverteidigungsminister Paulo Sérgio Nogueira, Bolsonaros ehemaliger Vizepräsidentschaftskandidat und Verteidigungsminister Walter Braga Netto sowie Bolsonaros ehemaliger Adjutant und Oberstleutnant Mauro Cid, der zudem Kronzeuge ist.

In den ersten Prozesstagen legte nach Bundesrichter Alexandre de Moraes zunächst der Generalstaatsanwalt Paulo Gonet dar, weshalb die Angeklagten schuldig gesprochen werden sollten. Der geplante Staatsstreich sei letztlich nur deshalb gescheitert, so Gonet, weil die Befehlshaber der Armee und der Luftwaffe sich geweigert hätten, Bolsonaro zu unterstützen. Im Anschluss kamen die acht Verteidiger der Beschuldigten zu Wort, um die fünf Richter von der Unschuld ihrer Mandanten zu überzeugen. Bolsonaros Rechtsanwalt, Celso Vilardi, argumentierte, dass es »nicht den geringsten Beweis« gegen den ehemaligen Präsidenten gebe. Selbst wenn ihm die Planung eines Putsches vorgeworfen werde, habe sein Mandant nie versucht, den Putsch auszuführen und könne deshalb auch nicht dafür bestraft werden: »Planung ist nicht Ausführung. Egal wie detailliert die Planung auch sein mag, es ist der Gewaltakt, der tatsächlich ein Verbrechen darstellt.« Bolsonaro habe nicht gegen den demokratischen Rechtsstaat verstoßen.

Die Anklage, so Vilardi, basiere im wesentlichen nur auf Indizien und den Aussagen des mitangeklagten Kronzeugen Cid. Doch dieser sei nicht vertrauenswürdig, sondern lüge, um seinen eigenen Hals mit Hilfe der brasilianischen Kronzeugenregelung aus der Schlinge zu ziehen. Die Aussagen des Oberstleutnants dürften nicht als gültige Beweise gegen den Expräsidenten angesehen werden. Cid habe »eklatant gelogen«, war auch das Kernargument des Verteidigers von General Netto, Anwalt José Luís Oliveira Lima.

Strafverteidiger Matheus Mayer Milanez wiederum warf der Anklage Verfahrensfehler vor, weshalb sein Mandant, General Heleno, freizusprechen sei. Auf die von der Bundespolizei zur Verfügung gestellten Prozessakten und Dokumente habe man nur mangelhaft zugreifen können. Zudem seien die seitens der Staatsanwaltschaft gesetzten Fristen zu kurz gewesen, um sich auf den Prozess vorzubereiten. Darüber hinaus habe sich Bundesrichter Moraes wie ein »Inquisitor« verhalten. Der Richter, der auch Berichterstatter des Falls ist, habe sich aktiv an der Zeugenvernehmung beteiligt. Ein Richter dürfe sich aber unter keinen Umständen zum Protagonisten eines Verfahrens machen, argumentierte Milanez.

Der Prozess wird kommenden Dienstag, den 9. September, mit den Abstimmungen und Begründungen der fünf Bundesrichter Alexandre de Moraes, Flávio Dino, Luiz Fux, Cármen Lúcia und Cristiano Zanin, die zugleich Bundesminister sind, fortgesetzt. Die finalen Urteile dürften spätestens am 16. September gefällt werden.

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